Verwirr-Spiel

T. C. Boyle: Die Frauen des Architekten

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Warum bloß entstehen immer mehr Romane, deren Struktur eher verwirrt als erhellt; welchen tieferen Zweck verfolgt solche gewollte oder sich einfach nur ereignende Fallenstellerei? Soll über Verwirrung der Eindruck von Kunstfertigkeit erzeugt, über Herunterdimmen von Klarheit die Illusion von Einmaligkeit vermittelt, über das Verwirrspiel der Leser in seiner Urteilskraft verunsichert werden?

T. C. Boyles jüngster Roman über die Frauen im Leben Frank Lloyd Wrights, vom American Institute of Architects 1991 zum größten amerikanischen Architekten aller Zeiten ernannt, ist so ein Beispiel: Das Buch nimmt sich die wichtigsten Frauen im Leben des Meisters vor. Es widmet jeder von ihnen ein geräumiges Kapitel, beginnt mit der spätesten zuerst, zeigt die erste zuletzt. Es installiert einen Erzähler in Gestalt eines (fiktiven) japanischen Architekten-Schülers, der mehrere Jahre am Hofe Wrights arbeitet, den Halbgott anbetet, ihn aber – eingestandenermaßen – nicht besonders gut kennt, und es baut, sicherheitshalber, mit einem »Übersetzer« namens Seamus O'Flaherty und reichlichen Fußnoten noch weitere Brechungsebenen ein ...

So entsteht ein Roman mit melodramatischen Gaben, beachtlicher Verwirrkraft und geringer Tiefenschärfe gerade jener Person, die doch Ursache und Auslöser für das Buch gewesen ist – Frank Lloyd Wright, der Vater des Guggenheim-Museums in New York (1956), des erdbebensicheren Imperial Hotels (1916) in Tokio, insbesondere aber vieler Wohnhäuser in den USA, darunter so imposanter wie das über einem Wasserfall ruhende Fallingwater (1935) und der Präriehäuser in ihrem naturverbundenen organischen Stil. Nicht zuletzt war Wright, dessen Hang zum Luxus vielleicht von der Lust zum Nichtbegleichen so mancher Kundenrechnung übertroffen wurde, der Erbauer von Taliesin, seines weitläufigen, zwischen 1911 und 1925 errichteten, wieder und wieder umgemodelten Anwesens im ländlichen Wisconsin. Hier hat auch der Roman seinen Hauptschauplatz.

Boyle, der in Kalifornien auf 1700 Quadratmeter Fläche heute selbst ein Wright-Haus bewohnt, außerordentlich produktiv ist und in vorangegangenen Büchern schon andere Namen der amerikanischen Gesellschaft wie Sexualforscher Alfred Kinsey (»Dr. Sex«) und Cornflake-Erfinder John Harvey Kellog (»Willkommen in Wellville«) literarisch verarbeitet hat, sucht diesmal Amerikas großen Baumeister mit Hilfe der wechselnden Frauen an seiner Seite zu ergründen. Boyle erweckt Wrights Geliebte Mamah sowie die drei Ehefrauen Catherine, Olgivanna und vor allem seine zweite, die morphiumsüchtige, hypersensible und gelegentlich eindrucksvolle Künstlerin Miriam zum Leben. Der Mann, der ihre Leidenschaft entfachte, bleibt indes so schemenhaft wie das Phantom der Oper. Und bedauerlicherweise erfährt man auch von Wright, dem Meisterarchitekten, nciht viel.

Dessen Triebe und Antriebe, sein Credo (»Ich glaube, ein Haus ist umso mehr ein Heim, je mehr man es zum Kunstwerk macht« oder: »Schon früh in meinem Leben musste ich mich zwischen ehrlicher Arroganz und scheinheiliger Demut entscheiden; ich entschied mich für die Arroganz.«), sein Streben nach schönen, zugleich erschwinglichen Häusern, seine Abneigung gegen den Bauhausstil, seine Haltung zum Wandel der Familienstrukturen oder Folgen der Abwanderung vieler Menschen in die Vorstädte, die Einführung neuer Baumaterialien und Technologien – nichts davon bewegt den Wright des Buches, der sich als künstlerischer Autokrat wähnte und bei aller Überspanntheit geniale Züge besaß.

Das Buch, das ja kein schmaler Band ist, lässt nicht mal in Ansätzen Wrights Selbstverständnis, seine künstlerische, handwerkliche oder ästhetische Entwicklung aufblitzen, geschweige denn Gestalt annehmen. Dass er noch heute als Amerikas bedeutendster Architekt gilt, erschließt sich in T. C. Boyles in keiner Weise, es sei denn, man wollte Miriams rauschhafte Vergötterung ihres »wagnerianischen Helden« dafür gelten lassen. So begegnet uns ein Wright, der Frauen hofiert und liebt, anbetet und abserviert und damit zum roten Tuch im prüden Amerika wird. Ein Wright, der seine Schüler häufiger zum Kartoffelschälen als am Reißbrett einsetzt, ein Mann mit Ausdauer und ewigen Geldsorgen. In dem, was ihn bedeutend gemacht hat, bleibt er eine Sphinx, so unenträtselt wie die Frage, die den authentischen Frank Lloyd Wright bis heute umgibt: ob er nun im Juni 1867 oder 1869 geboren wurde. Sein Todesjahr immerhin ist unstrittig: 1959.

T. C. Boyle: Die Frauen. Aus dem amerikanischen Englisch von Kathrin Razum und Dirk van Gunsteren. C. Hanser Verlag. 560 S., geb., 24,90 €.

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