Studieren im dritten Gang

13 Semester – Der frühe Vogel kann mich mal von Frieder Wittich

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.
Momo (Max Riemelt) und Kerstin (Claudia Eisinger)
Momo (Max Riemelt) und Kerstin (Claudia Eisinger)

Das Abitur ist bestanden, das Leben kann beginnen. Endlich weg aus der öden Enge der brandenburgischen Provinz, denkt sich Momo, endlich den kindischen Spitznamen loswerden, endlich Moritz sein. Wohin ist eigentlich egal, die Studienwahl zweitrangig: also Darmstadt, also Wirtschaftsmathematik, genau wie Schulkumpel Dirk (Robert Gwisdek). Gemeinsam geht's los in die ungewisse Zukunft. Dass der klapprige Kleinwagen schon nach fünf Kilometern den Geist aufgibt, verhindert die Reise nicht, es verzögert sie nur: Wer im dritten Gang fährt, kommt auf der Autobahn zwar etwas langsamer voran, dafür hat er es erheblich lauter.

»13 Semester« ist eine Studentenkomödie nach einem Drehbuch von Oliver Ziegenbalg und Regisseur Frieder Wittich, der hier sein Spielfilmdebüt vorlegt. Die eigene Studienzeit ist beiden noch in guter Erinnerung – und wenn sie einmal vorbei ist, wird diese Zeit des Aufbruchs und Ausprobierens ja gern als schönste des Lebens empfunden. Aber Wirtschaftsmathematik – das ist schon hart. »Schauen Sie doch mal nach links und dann nach rechts«, empfiehlt Professor Schäfer (Dieter Mann) seinen Erstsemestern in der überfüllten Auftaktvorlesung, »rein statistisch gesehen, werden Sie die beiden Kommilitonen beim Diplom nicht wiedersehen«. Links neben Momo sitzt Dirk, rechts Aswin (Amit Shah), ein Inder, der kein Wort versteht – was sich sehr schnell ändern wird.

Der Film ist vom Ende her erzählt. Der zerzauste Momo kommt, einen deutlich sichtbaren Kaffeefleck auf dem Hemd, den Uni-Flur entlanggehetzt, vor einer verschlossenen Tür erwartet ihn der Professor: Diplomprüfung. Fünf Minuten mögen verbleiben, bevor sich entscheidet, ob die zurückliegenden sechs Jahre »umsonst« waren. Blitzlichtartig hämmern Momo Bilder dieser Zeit durch den Kopf, deren Zusammenhänge wir in den folgenden Rückblenden kennenlernen sollen. »13 Semester« fügen sich nach und nach zu einer Montage aus 13 Kurzkapiteln – kleinen Erzählungen zumeist, mal aber auch einem rasanten Zusammenschnitt von Standbildern, mal nur einer symbolischen Geste. Am Ende erst spannt sich ein Entwicklungsbogen über das Ganze.

Moritz bleibt Momo, die Kindheit in der Küche der elterlichen Gastwirtschaft hat Spuren hinterlassen, die nicht wegzuwischen sind, auch wenn es Momo während seines Studiums zwar bis nach Australien verschlägt, aber nicht ein einziges Mal zurück nach Wusterhausen. Seine Kochkunst verhilft ihm indes nicht nur zu Anerkennung bei seinem lebemännischen WG-Mitbewohner Bernd und zu einem Nebenjob im Restaurant, sie stellt auch die Weichen für die Zukunft. Wohin es Momo nach dem bestandenen Diplom verschlägt, behalten wir an dieser Stelle für uns. Es reicht die Feststellung, dass es dazu keines Studiums der Wirtschaftsmathematik bedurft hätte.

Oder doch? Wenn dieser herzerfrischend leichte, kurzweilige Film, der am Ende keine Verlierer kennt, eine tiefere Botschaft hat, dann diese: Ein straffer Stundenplan taugt nicht als Wegweiser in ein Leben, das mehr ist als Karriere. Anderes als in Hör- und Lesesälen lässt sich im Freibad, im Waschsalon, in Kneipen und auf Partys lernen. Die Frage, was wichtiger ist, stellt sich nicht erst in Bachelor-Master-Zeiten jeder Studentengeneration aufs Neue.

In »13 Semester« (der Titel verlängert die Regelstudienzeit ins nicht Kalkulierbare) verkörpern Momo und sein Jugendfreund Dirk die zwei Extreme: Während dieser mit Liebeskummer, Wohnungssuche, Nebenjobs und Katerstimmung Zeit »verliert«, zieht jener seit Studium straff durch. »Wir studieren hier Wirtschaftsmathe und nicht Sozialpädagogik«, raunt Dirk seinem Freund entgegen, als er ihn wegen seiner Nachlässigkeiten aus der Lerngruppe fürs Vordiplom werfen muss. Als Dirk ein paar Semester später im feinen Zwirn in der Tankstelle auftaucht, in der Momo jobbt, prallen beide in fortgeschrittener Entfremdung erneut aufeinander. »The early bird catches the worm«, sagt Dirks aalglatter Begleiter Susu. »Der frühe Vogel kann mich mal«, kontern die Filmemacher im Untertitel.

Dass vor allem Studenten und Absolventen sich in diesem Film wohlfühlen dürften, liegt daran, dass sie sich in den Charakteren wiedererkennen. Die Darsteller tun dazu ihr Übriges. Ein Kompliment an das Casting: Einen anderen als den ursympathischen Max Riemelt mag man sich in der Rolle des in allen Selbstzweifeln charakterstarken Momo gar nicht vorstellen. Claudia Eisinger als Momos große Liebe Kerstin spielt ihren etwas rauen, gänzlich unzickigen Charme mehr als glaubwürdig aus. Und Alexander Fehling, der Momos gewieften, promisken, jedes Chaos souverän durchschreitenden Mitbewohner Bernd verkörpert, würde man sofort abnehmen, dass er keinen anderen spielt als sich selbst.

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