Vielbeinige Überraschung

  • Prof. Dr. Ulrich Sedlag, Zoologe, Eberswalde
  • Lesedauer: 2 Min.

Als ich eines dunklen Abends im Spätherbst die Hofbeleuchtung einschalten wollte, überraschte mich unter dem Schalter ein grünliches Glimmen. Etwa eine defekte elektrische Leitung? Selbstverständlich nicht. Aber was war es nur? Eigentlich kaum weniger wahrscheinlich: ein seltener Erdläufer. Von ihm gibt es mehrere schwer unterscheidbare Arten. In Anbetracht des Fundortes bin ich versucht anzunehmen, dass es sich um die Art der Gattung handelte, der der Name electricus zugefallen ist (Foto: Sedlag).

Erdläufer bekommt man sonst nur beim Durcharbeiten des Komposthaufens und beim Umwenden von Steinen oder Brettern zu sehen. Sie gehören zu den Tieren, die es verstehen, sich im Lückensystem des Bodens zu bewegen, wo sie der Jagd auf Regenwürmer (oder in ihrer Jugend auf Enchyträen) nachgehen. Dabei dringen sie bis in eine Tiefe von 40 Zentimetern vor. Daher wäre auch ein »unbeleuchtetes« Tier an der Hauswand eine Sensation gewesen. Mein Staunen über sein Licht wurde etwas dadurch gemildert, dass ich mich erinnerte, über entsprechende auf den Herbst beschränkte Beobachtungen gelesen zu haben. Dass die Tiere keine Leuchtorgane haben, sondern – in voller Länge – ein Leuchtsekret ausscheiden, zeigte sich an einem Leuchtfleck auf meiner Hand, nachdem ich das Tier an eine besser geeignete Stelle getragen hatte.

Die Annahme, dass es sich um ein Wehrsekret handelt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Ein Artgenosse, den ich am nächsten Tag fangen konnte, war jedenfalls in keiner Weise zum Leuchten zu bewegen. Eher könnte alles mit dem Fortpflanzungsgeschehen zusammenhängen. Dafür spricht die Beschränkung des Leuchtens auf die Paarungszeit.

Die Erdläufer gehören zu den Hundertfüßern, die an jedem Segment ein Beinpaar haben. Bei den Doppelfüßern, mit denen sie als Tausendfüßer vereint werden, sind es zwei. Immerhin kommen beim 40 bis 45 Millimeter langen Geophilus electricus 65 bis 73 Beinpaare vor. Im Garten sind auch als Steinläufer bezeichnete Hundertfüßer eines ganz anderen Typs nicht selten. Es sind bis etwa 30 Millimeter lange braune, flinke Tiere mit kräftigen Klauen an den Kieferfüßen. Sie leben versteckt, jagen nachts aber oberirdisch, so dass man sie bei einer Taschenlampenexkursion sehen kann, ehe sie eilends einen schützenden Zufluchtsort erreicht haben.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.