Blauhelmtruppe schwer erschüttert
UN-Mission nicht mehr arbeitsfähig
Nach übereinstimmenden Berichten haitianischer und europäischer Medien wurde die Zentrale der UNO in der Hauptstadt Port-au-Prince fast völlig zerstört. Am Mittwochnachmittag ging Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner in einem Interview mit dem Sender RTL vom Tod des MINUSTAH-Chefs Hedi Annabi aus. »Es scheint, dass alle, die in dem Gebäude waren, tot sind, unter ihnen auch mein Freund Annabi, der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, und alle, die bei ihm waren«, wird Kouchner von der Deutschen Presse-Agentur zitiert. Brasiliens Staatschef Luiz Inácio »Lula« da Silva äußerte sich nach Angaben der Tageszeitung »Folha de São Paulo« »äußerst besorgt« über Zustand und Sicherheit des UN-Personals. »Viele Mitarbeiter werden vermisst«, bestätigte auch Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim.
Nach Angaben der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina, die aus der benachbarten Dominikanischen Republik berichtet, hat Präsident René Préval laut »diplomatischen Quellen« die Zerstörung des Präsidentenpalastes überlebt. »Jedoch ist nichts Genaueres über seinen Zustand bekannt«, heißt es in dem Bericht.
Zahlreiche Regionalstaaten haben angesichts der immensen Katastrophe noch in der Nacht zum Mittwoch mit Hilfsaktionen begonnen. Venezuelas Präsident Hugo Chávez mobilisierte humanitäre Helfer der Katastrophenschutzeinheit »Simón Bolívar«, die mit 50 Experten nach Haiti flogen. Nicaragua entsandte ebenfalls Hilfskräfte mit dem Auftrag, die Stromnetze wiederaufzubauen. Spanien schickte Hilfskräfte aus Panama, Frankreich unter anderem von der nahen Karibikinsel Martinique. Kubanische Hilfskräfte befanden sich bereits an Ort und Stelle. Kuba ist allerdings auch selbst von den Folgen der Naturkatastrophe betroffen. In Baracoa, im äußersten Osten Kubas, wurden nach Angaben des lokalen Katastrophenschutzes 30 000 Menschen evakuiert. Die Kolonialstadt liegt Haiti am nächsten, die Schockwellen waren auch hier zu spüren. Die kubanischen Behörden schlossen die Gefahr einer Flutwelle nach dem Beben nicht aus.
In Haiti wird das Erdbeben die Debatte über die Besatzungskräfte von MINUSTAH weiter anheizen. Vor zwei Jahren bereits, kurz vor der Verlängerung der MINUSTAH-Mission, verwies der haitianische Journalist Woody Edson Louidor in einem Bericht auf die zunehmende Kritik an der »Stabilisierungsmission« aus 17 Staaten. Die MINUSTAH habe es nicht geschafft, effektiv gegen kriminelle Banden vorzugehen, schrieb Louidor. Bei militärischen Aktionen seien hingegen immer wieder Zivilisten getötet worden. Soziale Bewegungen in Lateinamerika haben auch deswegen wiederholt den Abzug der Truppe gefordert. »Wir solidarisieren uns mit dem Kampf des haitianischen Volkes um Selbstbestimmung, wir fordern den unmittelbaren Abzug der MINUSTAH und ihre Ersetzung durch solidarische Entwicklungsmissionen sowie den Erlass der Auslandsschulden für Haiti«, hieß es unlängst in einer Erklärung des Amerikanischen Sozialforums.
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