Korrekt, anarchisch

Akademie der Künste Berlin: George Grosz

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.
»Die leuchtende Krawattennadel«, 1908
»Die leuchtende Krawattennadel«, 1908

Permanent wird nach der Öffnung von Geheimdienstarchiven gerufen. Und es bleibt aus ganz vordergründigen Motiven traurigerweise bei dem einen. Da vergisst man leicht, dass da noch andere, weit sinnvollere, weil kunstgesättigte Archive im Verborgenen schlummern. Was die Akademie der Künste an Hinterlassenschaft von ausgewiesenen Persönlichkeiten sammelt, gehört a priori ja der Öffentlichkeit. Wenn davon mal was ans Tageslicht gehoben wird, sollte man schon genau hinschauen. So beim Offenlegen der fatal urpreußischen Künstlerbiografie des George Grosz von 1893 bis 1959. Hier weitet sich der Blick auf Gesellschaftsverhältnisse wie bei kaum einem anderen. 1918 Hexenkessel Großberlin. Zeitungsstadt und Kunstmetropole. Nach Spartakus fasziniert KPD. Sowjetunionreise bewirkt 1923 Gegenreaktion. Zwischen allen politischen Stühlen. An die Wände der großen Galerien. Inbegriff kritischen Geistes.

Da dieser Künstler eine so gelungene Mischung aus Korrektheit und anarchischem Gebaren war, ist er Idealfall für eine Archivierung. Eine Unzahl Zettel und Briefe, Skizzen und Entwürfe zu den chaotischsten Themen hat er aufbewahrt. Letzten Endes sind sie alle bei der Akademie gelandet, die ihn ein Jahr vor seinem Tod erst zum Mitglied wählte. Faktensammeln war sein Skizzenbuchprogramm. Dieser Überfluss an Quantität kann bei schwächeren Talenten ja peinlich werden – hier ist schon allein durch die souveräne zeichnerische Handschrift eine besondere Qualität gegeben. Nun hat die schon seit Jahren mit Grosz' Lebenswerk vertraute Kuratorin Birgit Möckel eine exzellente Auswahl aus dem Archivbestand getroffen. Und zusätzlich aus den in der Kunstsammlung der Akademie verwahrten grafischen Zyklen klug und überzeugend ausgewählt.

Was nun in der unkonventionell pointierenden Ausstellungsgestaltung durch Sabine Schmaus aus dem restauratorisch verantwortbaren Halbdunkel dreier Säle am Pariser Platz heraus leuchtet, ist eine erhellende Lektion in scharfsinniger Menschenbeobachtung. Mit dem historischen Abstand zur kontrastreichen Lebenswelt der 20er bis 50er Jahre des 20. Jahrhunderts gucken wir darauf. Die einen mögen sich an den pedantisch notierten Einzelheiten erfreuen, andere die Brisanz der sarkastischen Attacke bewundern und wieder andere darüber hinaus ein abstrakt zuckendes grafisches Strichgeflecht wahrnehmen. Junge Betrachter können ein durchaus bürgerliches politisches Engagement entdecken. Viele Ältere werden sich in einer latenten Oppositionshaltung bestätigt finden.

Gegenüber der 1994 von der Neuen Nationalgalerie veranstalteten Monsterschau von Malerei plus Grafik aus den verschiedensten Sammlungen nehmen wir hier die intime Innenansicht der Seele des Zeichnerauges wahr. Malerische Überhöhung ist ja schön und gut. Doch das skizzenhafte Ertasten von Körpermerkmalen auf der einen und Karikaturideen auf der anderen Seite ist bei George Grosz nun mal der Knackpunkt. Der treffsichere Zeichenmeister wird über Jahre zum ätzend scharfen Satiriker und Abgründe aufreißenden Chronisten. Vor den nazistischen Verfolgern am alten Traumziel USA in trügerischer Sicherheit, ist er offiziell auf den Zeichenlehrer für höhere Töchter reduziert. Der wüste Anarcho wird zur »Correctness« diszipliniert.

Ein Trost: Wenn er montiert und collagiert, bleibt er der naive Dada-Clown. Seine Detail-Sammelwut erstreckt sich auf tausende Fotoschnipselchen, aus denen allerlei originell geklebte Kombinationen entstehen. Was einstmals eine enge, von gegenseitiger Anregung gesättigte Schaffenssymbiose mit John Heartfield war, bleibt unvergesslich. Akademiepräsident Klaus Staeck hat natürlich in seiner ureigenen Profession als politischer Fotomonteur ein besonderes Faible für diese Seitenansicht des G.G. Sein Werben beim Förderverein der Akademie um »finanzielle Freundlichkeiten« hatte als Nebenergebnis des Ausstellungsprojektes das Buch »Georg Grosz montiert«: kein Katalog, ein selbstständiges Unikat in der Grosz-Literatur. Kurios darin die Schilderung des G.G., wie er vom Herzensfreund Wieland Herzfelde das Sortieren von Archivalien lernte.

Ach ja, das Kapitel »Grosz und die Brüder Heartfield-Herzfelde«. Wie haben die drei die zwanziger Jahre in Berlin satirisch auf den Kopf gestellt! Spätestens als Emigranten waren sie voneinander isoliert. Die frühere Rückkehr der Brüder brachte diese dazu, sich durchaus widerspruchsvoll in ein DDR-Establishment einzufügen, das dem inzwischen US-amerikanischen Staatsbürger G.G. suspekt war. Der Kalte Krieg bewirkte, dass 1958 just zum Zeitpunkt der Grosz'schen Akademieaufnahme in Westberlin sich der zierlich kleine Johnny Heartfield in Moskau und Peking als übergroßer Klassenkämpfer feiern ließ. Als Georges Frau Eva im Mai 1959 dem Drängen ihrer Schwester Lotte Schmalhausen genügte und ihren Mann fast widerwillig in ein braves Rentnerdasein am Westberliner Savignyplatz überführte, lief Johnny im Mao-Anzug über die Friedrichstraße fast nebenan. Die »Mauer in den Köpfen« – sie existierte schon vor Mauerbau.

Savignyplatz 5 – dahin waren die vielen originellen Postkarten von George an seinen Zeichnerfreund und Schwager Otto Schmalhausen adressiert, die wir jetzt erstmalig in dieser Ausstellung zu sehen bekommen. Der als Künstler fast unbekannt gebliebene Adressat starb 1958 dort im Elternhaus seiner Frau. Die lebenslustige Witwe Lotte beherbergte dann einen anderen Zeichnerkollegen, Charly Sturtzkopf. Nach in München gescheiterter Ehe fand dieser sowohl bei der warmherzigen Altersgefährtin wie bei dem für große Talente immer aufnahmebereiten Ostberliner Satireorgan »Eulenspiegel« Unterschlupf. Berlin war zu der Zeit noch ein Eldorado für Karikaturisten.

Ja, die Savignyplatz-Adresse hat auch für das Genie unter den drei Zeichnerkollegen etwas Schicksalhaftes. Kaum dort nach der Aufgabe der Wohnung in New York angekommen und im Hause notdürftig eingerichtet, wird der Lebenskreis des G.G. eng und enger. Immer häufiger wählt er den kurzen Weg schräg über den Platz in die Grolmanstraße 47 zu der renommierten Kneipe, genannt »Franz Diener«. Der Namenspatron, seinerzeit 1926 als Vorgänger von Max Schmeling Deutschlands Boxmeister im Schwergewicht, schenkt höchstselbst an der Theke ein denkbar vorzügliches Bier aus. Nach der durchzechten Nacht vom 5. zum 6. Juli bricht der Spätheimkehrer im doppelten Sinn im heimischen Hausflur zusammen. Weder Frau Eva noch Lotte geschweige denn Freund Charly bemerken, was am Morgen Tatsache ist: Der große G.G. ist tot. Vor der Kellertreppe wird er gefunden. Wenige Meter von dem Kohlenhaufen entfernt, unter dem erst 25 Jahre später die Weinkiste geborgen wird, in der 1933 sorgfältig der Rest von G.G.s zeichnerischem Jugendwerk verpackt wurde. Darin von allerfrühesten Talentproben über die Skizzenbücher bis zu den legendären 23 Porträtskizzen von Max Hermann-Neiße ein wahrer Schatz. Genau dieser ist nun und hier erstmalig ausstellerisch perfekt erschlossen zu sehen.

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