Viele Geschlechter

Queere Theorien und Praktiken durchbrechen restriktive Diskurse

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 2 Min.
»Queer« ist eigentlich ein abwertender Ausdruck für eigenartig, suspekt, verrückt und wird auch als Schimpfwort für Homosexuelle verwendet. Politische AktivistInnen haben sich diesen Begriff als positive Selbstbeschreibung angeeignet und feiern damit ihr Anderssein.

Queere Theorien beziehen sich unter anderem auf die Ideen der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler, die geschlechterspezifische Unterdrückung nicht mehr als patriarchale identifiziert, sondern als heterosexuelle Matrix, in der körperliche Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsidentität und sexuelles Begehren in spezifischer Weise aufeinander bezogen werden. Damit verschiebt sie den Akzent von der Unterdrückung von Frauen auf eine Kritik an einer hegemonialen Zwangsheterosexualität, von der beide Geschlechter betroffen sind und eingeschränkt werden. Geschlecht ist für sie keine natürliche oder biologische Konstante, sondern wird diskursiv durch kulturelle Denksysteme und Sprachregeln bestimmt, außerdem durch wissenschaftliche Diskurse und politische Interessen. Butler vertritt die Auffassung, dass Geschlecht ausschließlich als soziale Kategorie verstanden werden kann. Als Interventionsmöglichkeit schlägt sie vor, durch Performativität des Anderen, von der Norm Ausgeschlossenen, die zuschreibende Macht des herrschenden Diskurses anzugreifen.

Als politische, gelebte Praxis existiert queer in unterschiedlichen Ausformungen. Oft wird versucht, die Konstruiertheit von Körper- und Geschlechterwahrnehmungen aufzuzeigen, indem gegen Erwartungshaltungen agiert wird. Drag-King-Performances (Drag Kings sind Personen weiblichen Geschlecht, die Männlichkeiten zur Schau stellen und parodieren) oder ein Agieren in geschlechtlich nicht zuzuordnenden Uneindeutigkeiten gehören hierzu.

In Berlin ist eine queere Subkultur entstanden, mit eigenen Räumen, Codes und Partys. Eine der hier agierenden Gruppen sind die Spicy-Tigers-on-Speed. Mit ihren Auftritten wollen sie die mögliche Vielfalt an Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierungen darstellen. Sie beantworten die queeren und transsexuellen Menschen häufig gestellte Frage: »Bist Du ein Mann oder eine Frau?« ganz einfach mit einem lauten »Nein!«.

In queeren Räumen kann es allerdings einer auch schon mal passieren, dass eindeutig männlich sozialisierte Wesen mit Röckchen und Nagelack Sätze sagen wie diesen: »Ich kann gar nicht übergriffig sein, ich bin doch gar kein Mann.« Dieses Beispiel illustriert sehr deutlich, was an queer von älteren oder klassischeren Feministinnen als Bedrohung empfunden wird. Mit dem Abschied von der Kategorie »Frau« als dem Subjekt des Feminismus gehen demnach Analyseinstrumente verloren, die eine gesellschaftliche Hierarchisierung der Geschlechter fassen und angreifen können. Zudem wird eine in der Praxis oft voluntaristische Herangehensweise kritisiert, die den Eindruck erweckt, Geschlechterzuschreibungen könnten per Willensentscheidung dekonstruiert und quasi abgestreift werden. Damit würde eine gesellschaftliche Wirkmächtigkeit von Geschlechternormen in der (Selbst-)Wahrnehmung ignoriert.

Queerer Aktivismus befindet sich also in einem Spannungsfeld: Queer können Geschlechterverhältnisse gedacht und performiert werden, die in einem Schema von Zweigeschlechtlichkeit nicht möglich wären. Dies eröffnet neue Handlungsspielräume. Andererseits muss queer-feminisitischer Aktivismus sich auch immer wieder mit der Zweigeschlechtlichen Realität auseinandersetzen, will er nicht in bedeutungslosen Partyspaß abgleiten.

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