Der Über-Maler

Bernhard Heisig zum 85. Geburtstag

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Leinwände vibrieren. Sie sind Lavaglut. Explosionen, Eruptionen, Sieden, Kochen, Funken, Flammen, Lodern, Brennen: Hochenergetisch das Vokabular, das die Ausdruckswerte der Malerei Bernhard Heisigs bezeichnet. Des Malers Temperament: »Die Wut der Bilder«, wie er die große Retrospektive 2005/2006 mit Bezug auch auf eins seiner Vorbilder, Max Beckmann, betitelte. Die Schau damals – in Leipzig, jahrzehntelange Wirkungsstätte Heisigs, in Düsseldorf und in der Nationalgalerie Berlin gezeigt, von der Geburtsstadt des Künstlers, Breslau (heute Wroclaw), übernommen – ermöglichte einen beeindruckenden Überblick über das Gesamtwerk. Und sie brachte ihm die Anerkennung nach langen Anfeindungen und Missdeutungen im vereinten Deutschland, wo der Ost-West-Kunststreit nach Mauerfall und Barrikadenbau noch seine Schatten warf.

Die Wut (beim Arbeiten und die ihn am Leben erhält, wie er selbst sagt) und die Wucht der Bilder. Die aus den Stoffen kommt wie aus der Form. Eduard Beaucamp, der kluge Begleiter der Kunst in der DDR, fasst die Gesichte, die Heisig in wesentlichen Teilen seines Werkes aufsteigen lässt, in die gültigen Worte: »Kein anderer Künstler hat in so umfassender Weise malend über die deutsche Geschichte, über Pathologie und Schuld, über menschliche Verführungen, Irrwege, Lebenslügen, Abgründe und Gewalttätigkeiten nachgedacht.« So heißt über Heisig reden immer auch, über geschichtliche Vorgänge reden, über ihre Akteure, über ihre Bedingungen wie subjektive und objektive Mechanismen, über Parallelen in der Gegenwart.

Eigene leidvolle Erfahrung – 17-jähriger Freiwilliger im Zweiten Weltkrieg, Panzerschlacht bei Caen, »Ardennenschlacht«, Kampf um die »Festung Breslau«, Gefangenschaft, Kriegsinvalide – ist der Urgrund, der Bildräume füllt. Resultat zerrender, quälerischer Selbstbefragung – auch in zahllosen Selbstporträts –, Ergebnis vielschichtiger, immerwährender Selbsterforschung des Augenzeugen Heisig: eine Bilder-Bühne, auf der Mörder und Mächtige agieren, Opfer und Rechtlose, und der Künstler, er steht nicht im Gerichtsstand, aber auf der Seite Letzterer. Gellendes Schmettern, Anschreien auch gegen ideologieglutäugigen Fanatismus, dieses allgegenwärtige Menetekel. »Heisig ist der große Moralist der Gegenwartskunst.« (E. Beaucamp)

Die Wucht der Bilder, die Heftigkeit der Ausformung der (Grund-)Motive, wie im Rausch geboren. Mit Bedacht geordnete, aber immer irgendwie irrlichternde Überflutungen des Schrecklichen und des Schönen zugleich. Schmerzend und anziehend, bezeugen sie den Scharfblick für die Aufgerissenheit der Welt. Und das einzige Dogma, das Heisig dabei anzuerkennen scheint, ist die Wahrhaftigkeit. Dort, wo das Blut pocht, Wunden klaffen – Heisig offenbart die Schrunden des Innersten, die lebenslange Demütigung und Beschämung, macht Bekenntnisse sichtbar, gibt ihnen die tragische Größe historischer Lehrbeispiele. »Christus verweigert den Gehorsam«. Verwundet – körperlich und geistig-emotional – setzt er seine Schöpferkraft ein im Drang zu genesen, im Sinne Heines: »erschaffend konnte ich genesen, erschaffend wurde ich gesund«. Aber nach der Schockstarre bleibt die Spannung. Das Trauma, die Fragen bleiben für immer eingesplittert. Bis heute, da, wie Heisig einmal anmerkte, sie Verteidigungsminister heißen, die Kriegsminister. So auch kann man es lesen, beispielsweise das Selbstporträt »Denk ich an Breslau«, 2001.

In der Vielfalt der Themen und Bildstoffe des unglaublich umfangreichen Oeuvres gibt es auch ganz intim Spielerisches, selbst Kontemplatives findet sich. Psychologische Tiefe in den Porträts. In dieser wenig zu umdeutelnden Kunst ist Heisig einer der wenigen wirklichen Meister. Ebenso virtuos, im expressiven Stil die Landschaften, denen oftmals etwas Zwielichtiges anhaftet. Faszinierend, vom Qualitätsniveau ausgefeilter Werke, gezeichnete oder getuschte Studien – etwa zu Goethes »Faust«, zu Seghers' »Das siebte Kreuz«.

Was den Farbauftrag betrifft: Selbst da scheinen die (Welt-)Risse hervor. Spachtelig, krustig zuweilen, dick-spröde und jedenfalls wild ist das Öl, in fleckiger Verwobenheit auf allen Bildebenen, mit Pinsel und Fingern auf die Leinwand gesetzt. Erhabenes mit pointiert aufscheinendem Lichtzauber. Der Maler, ein Zauberer?

Rot, weiß, blau, schwarz, gelb, ocker steht auf dem Einkaufszettel, Heisig kommt mit wenigen Farben aus, so Rüdiger Küttner von der Galerie Berlin, die ihn vertritt, »er mischt«, die »Zwischentöne komponiert er«. – Intime Nahsicht, die Beschreibung des Wegs der Farbe von der Tube über die Palette bis zur Leinwand, macht Küttners Vorwort in einem Buch anlässlich des 85. Geburtstags Bernhard Heisigs zu etwas beflügelnd Leichtem. Der Galerist, der seit Langem mit dem Künstler befreundet ist, überschreibt seine Einführung in den Band zu recht und natürlich auch angenehm doppeldeutig mit »Der Über-Maler«. Greift Heisigs Art der Bewegung auf: ohne Schlusspunkt, d.h. die Angewohnheit, blitzschnell noch selbst auf schon gehängtem Gemälde eine Übermalung vorzunehmen, da zu ändern, dort – aufs Neue – zu vollenden. Und spielt auf des Künstlers Rang an.

Es ist ein wundervolles Buch. Eduard Beaucamps wie gewohnt sachkundig und das Schaffen Heisigs differenziert umreißendem Aufsatz über dessen »Mut zum eignen Ich« und »die Folter der Erinnerung« folgt eine Betrachtung über die Selbstporträts, die einen umfangreichen Komplex ausmachen. Beiträge über die Mutterbildnisse, die einen auf besondere Weise berührenden Schaffens-strang Heisigs darstellen, über das Porträt des Leipziger Dirigenten Václav Neumann, einem der Höhepunkte in der Bildniskunst Heisigs. 50 Artikel – von Künstlerkollegen, Schülern, dem ebenfalls um das Schaffen Heisigs verdienten Galeristen Brusberg, Museumskuratoren (insbesondere die gründliche, ausführlich in die historischen Zusammenhänge einordnende Vita von Hans Jürgen Papies), Schriftstellern, Freunden und von den beiden Söhnen sowie den seit Langem mit Heisig zusammenarbeitenden Verlegern selbst, Elmar und Michael Faber. Sachlich-akademische, emotionale, poetische. Vielfalt der Handschriften und Blickwinkel zu vielfältigem Werk.

Maler Hubertus Giebe, der anhand des »Zauberlehrling I«, 1978/81, auf malerische wie geistige Traditionslinien eingeht, in die sich Heisig bewusst stellt, verweist auf die Torheit der allgemein üblichen Kunstpräsentationspraxis und die Beschränktheit bei der Beachtung künstlerischer Meisterschaft: »›Avantgardebürokraten‹ müssen solche Bilder, muß diese sehr alte ›Würde der Malerei‹ ein Grauen sein. Der Abgrund der Geschichte, aus der wir alle kommen, ist ihnen unbegreiflich. Zwischen seichten Devotionalien und hoffnungslosem Dilettantismus, die ein schwachsinniger Zeitgeist feiert und zelebriert, bleibt diesen Claqueuren nur das schrille, dumme und zynische Gelächter ewigen Entertainments.«

Kennern von Heisigs Werk hingegen bleibt Dankbarkeit, eines tiefen geistigen und hohen ästhetischen Reichtums teilhaftig sein zu dürfen.

Bernhard Heisig. Eine unendliche Geschichte, Hg. von Rüdiger Küttner. Verlag Faber & Faber Leipzig, 200 S., 100 Abb., 29,80 Euro.
Galerie Berlin, Auguststraße 19, 10117 Berlin: Bilder, Zeichnungen und Graphiken. 1. 4. bis 15. 5., Di-Sa 12-18 Uhr. Katalog.

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