Der Junge

Ulrich Thein wäre 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Manchmal trifft man im Kino auf wahrhaft offene Gesichter, die scheinen zwischen dem Unvereinbaren eine Verbindung zu schaffen: eine Verbindung zwischen höchst freundlichem, weitem Ausblick, geradezu utopischer Träumerkraft und andererseits der faltigen Banalität einer ganz alltäglichen Existenz. Ulrich Thein (Foto: ND-Archiv) – er war so einer. Die Enden zweier Welten in seinen Händen. Sehnender Junge und stiefelnder Prolet. Er war bei DEFA und DDR-Fernsehen meist der gute, kräftige Kerl.

Geboren wurde er 1930 in Braunschweig, 1951 betrat er die Bretter des Deutschen Theaters Berlin. Aber er wurde ein Mann fürs Kino (»Fünf Patronenhülsen«, »... und deine Liebe auch«, »Anton der Zauberer«); seine Fernsehinszenierungen: »Mitten im kalten Winter«, »Broddi« (mit Grashof, Böwe, Gröllmann, Reuter), »Ein altes Modell«. Er schien auszusehen, wie sich der junge Staat wünschte, im Gemüt der Leute auszusehen; ein Mensch, passend zum Menschenbild, wir gingen wegen Thein ins Kino. Später war er in Mehrteilern Luther und Bach, und war beides so vital wie fragend.

Unvergesslich seine Hauptrolle als Alkoholkranker im Fernsehkrimi »Der Teufel hat den Schnaps gemacht«. Er spielte einen Zerrissenen, seelisch Weidwunden, hineingestoßen in eine Welt, hinter deren offiziell behauptetem Kollektivsinn Egoismus und Kälte lauern.

Nach dem Zusammenbruch der DDR blieb er der gute, kräftige Kerl. Zu sehr Charakter, um sich an der Oberfläche namens Fernsehen zu verschleißen, und er hatte die Kraft, »Nein« zu sagen. Das ist immer auch ein »Ja« zur Einsamkeit. Man denkt vielleicht nur eilfertig, das sei Kraft; in Wahrheit kostet es sie. 1995 starb Ulrich Thein, fünfundsechzigjährig. Heute hätte er achtzig werden können.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -