Der Junge
Ulrich Thein wäre 80
Manchmal trifft man im Kino auf wahrhaft offene Gesichter, die scheinen zwischen dem Unvereinbaren eine Verbindung zu schaffen: eine Verbindung zwischen höchst freundlichem, weitem Ausblick, geradezu utopischer Träumerkraft und andererseits der faltigen Banalität einer ganz alltäglichen Existenz. Ulrich Thein (Foto: ND-Archiv) – er war so einer. Die Enden zweier Welten in seinen Händen. Sehnender Junge und stiefelnder Prolet. Er war bei DEFA und DDR-Fernsehen meist der gute, kräftige Kerl.
Geboren wurde er 1930 in Braunschweig, 1951 betrat er die Bretter des Deutschen Theaters Berlin. Aber er wurde ein Mann fürs Kino (»Fünf Patronenhülsen«, »... und deine Liebe auch«, »Anton der Zauberer«); seine Fernsehinszenierungen: »Mitten im kalten Winter«, »Broddi« (mit Grashof, Böwe, Gröllmann, Reuter), »Ein altes Modell«. Er schien auszusehen, wie sich der junge Staat wünschte, im Gemüt der Leute auszusehen; ein Mensch, passend zum Menschenbild, wir gingen wegen Thein ins Kino. Später war er in Mehrteilern Luther und Bach, und war beides so vital wie fragend.
Unvergesslich seine Hauptrolle als Alkoholkranker im Fernsehkrimi »Der Teufel hat den Schnaps gemacht«. Er spielte einen Zerrissenen, seelisch Weidwunden, hineingestoßen in eine Welt, hinter deren offiziell behauptetem Kollektivsinn Egoismus und Kälte lauern.
Nach dem Zusammenbruch der DDR blieb er der gute, kräftige Kerl. Zu sehr Charakter, um sich an der Oberfläche namens Fernsehen zu verschleißen, und er hatte die Kraft, »Nein« zu sagen. Das ist immer auch ein »Ja« zur Einsamkeit. Man denkt vielleicht nur eilfertig, das sei Kraft; in Wahrheit kostet es sie. 1995 starb Ulrich Thein, fünfundsechzigjährig. Heute hätte er achtzig werden können.
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