Kaum Spuren in Moskaus Archiven
Tagung in Dresden zur Geschichte der deutschen Arbeiterfotografie
Wir fotografieren alles was uns als Arbeiter angeht« – so lautete kurz und bündig die programmatische Ausrichtung der sogenannten Arbeiterfotografie in der Weimarer Zeit, wie es damals Willi Zimmermann, Leiter der Ortsgruppe Dresden, formulierte. Und Dresden war auch der Veranstaltungsort, an dem kürzlich die Tagung »Die Eroberung der beobachtenden Maschinen« stattfand. Im Mittelpunkt standen neue Aspekte zur Geschichte einer proletarischen Bildkultur.
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG unterstützte Forschungsprojekt am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde beschäftigt sich seit einem Jahr mit der »proletarischen Amateurfotografie um 1930« und widmet sich dem Verstehen »popularer Medienpraxis am Beginn der Medienmoderne«.
Diese Arbeiterfotografie hatte sich 1926 als Antwort auf ein Preisausschreiben der »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung« als reichsweiter Verein gegründet, der 1931 in über 100 Ortsgruppen rund 2400 Mitglieder zählte. Der nach den Statuten parteipolitisch unabhängige Verein stand der KPD nahe, ein von der SPD getragener »Arbeiter-Lichtbild-Bund« konnte den organisatorischen Vorsprung der »Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands« nicht einholen. 1933 kam das Ende für beide Amateurfotografen-Gruppen.
Mit einem zentralen Sujet dieser Arbeiterfotografie, der Straße als Aktionsraum und als Bildfeld, beschäftigte sich auf der Tagung Wolfgang Hesse (Dresden), Bearbeiter des DFG-Projekts »Das Auge des Arbeiters«. Zwar stand der Betrieb von den programmatischen Ansprüchen der Arbeiterfotografen her im Vordergrund, doch eine umfassendere Betriebsfotografie konnte sich aufgrund von Fotografierverbot, technischen Problemen bei Innenaufnahmen und hoher Arbeitslosigkeit kaum entwickeln. Es war die Straße, das unmittelbare soziale Umfeld der Amateure, das ihr Betätigungsfeld wurde. »Anlass zum Fotografieren gab mir meine Umgebung, in der ich geboren war und lebte und in der große soziale Spannungen herrschten. Es interessierte mich ganz unmittelbar, denn ich war der Situation täglich ausgeliefert und wollte sie festhalten, dokumentieren. Und da ich nicht zeichnen konnte, habe ich begonnen zu fotografieren«, so der sozialdemokratische arbeitslose Betonbauer und Leipziger Fotoamateur Albert Henning in seiner Rückschau.
Über das private Erinnern hinaus kam bei dieser Art politisch eingebetteter Fotografie dann eine Bedeutungsverschiebung zustande, so Hesse. Personen und Situationen werden nun als »typisch« betrachtet und die Akteure vor der Kamera sind sich bewusst, Teil einer auf Öffentlichkeit abzielenden Inszenierung zu sein. Vor diesem Beitrag hatte Bernd Jürgen Warneken (Berlin) mit fünf Thesen die aktuelle volkskundlich-kulturwissenschaftliche Arbeiterforschung thematisiert.
Zwar war die Sowjetunion das leuchtende Vorbild für die Kommunisten in Deutschland gewesen, doch die Kooperation zwischen sowjetischen und deutschen Arbeiterfotografen war eher bescheiden. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls Ursula Schlude (Berlin), die erstmals im Rahmen des Forschungsprojektes Moskauer Archive nach Spuren der deutschen Arbeiterfotografen zwischen 1926 bis 1933 durchsuchte. Zu marginal scheint der Vorgang der Begegnung gewesen oder nach 1933 nicht mehr rekonstruierbar zu sein, wenn man von den Rückblicken absieht, die einige wenige Fotoamateure dieser Generation in Publikationen der DDR zu Papier brachten, so das Urteil.
Wie sich die proletarische Fotoamateurbewegung in Freizeitvereinen herausbildete und schließlich politisch gespalten wurde, das trug Joachim Schindler (Dresden) in seinem Vortrag über die »Arbeit der Fotosektionen bei den sächsischen Naturfreunde-Ortsgruppen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts«, vor. Diese Fotosektionen bildeten ab 1911 einen durchaus zentralen Bereich innerhalb der Naturfreunde-Bewegung, die sich als internationale proletarische Kultur-, Bildungs- und Touristen-Organisation verstand.
Dem Werk und der Rezeption des Arbeiterfotografen Richard Peter sen. widmeten sich Jens Bove und Sylvia Ziegner (Dresden). Peter, der 1950 mit seinem Bildband über das von Bomben zerstörte Dresden »Dresden – Eine Kamera klagt an«) bekannt geworden war und in den siebziger Jahren Eingang in den Kanon des »Nationalen Kulturerbes der DDR« gefunden hatte, steht in seiner Biografie in direkter Linie zu den Arbeiterfotografen der Vorkriegszeit. Dass er in dieser Zeit aber auch vielfältig für die bürgerliche Presse tätig war, ist ein bislang wenig beleuchtetes (und von ihm unterschlagenes) Kapitel seiner Biografie.
Biografische Annäherungen an die Arbeiterfotografie standen auch im Mittelpunkt eines Vortrages über Walter Ballhause wie auch der beiden Filme von Wilhelm Körner, »Wir sind das Auge unserer Klasse« (Köln, 1980), und Peter Badel »Arbeiterfotograf« (Potsdam, 1979). Während Sylvia Metz (Leipzig) über den Fotografiebestand des Museums für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Leipzig referierte, beschäftigte sich ein weiterer Vortrag unter dem Titel »Das Verschwinden des Arbeiters« mit der neuen oder zweiten Arbeiterfotografie, die sich in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gegründet hatte. Gemeinsam mit ihrem historischen Vorbild aus der Weimarer Zeit hatte sie die Anbindung an eine Partei (die DKP), doch fehlte nun der Verweis auf eine »real existierende« Systemalternative, die DDR wurde kaum thematisiert. In den 1980er Jahren verschwanden schließlich die Arbeiter von den Titelseiten der Verbandszeitschrift »Arbeiterfotografie« wie auch der Begriff selbst einer Erosion unterlag.
Die Schlussdiskussion der Tagung, die in Kooperation mit der Deutschen Fotothek stattfand, gewann durch die Beteiligung von Akteuren dieser zweiten Arbeiterfotografie ebenso an Lebendigkeit wie durch die Anmerkungen des Seniors der deutschen Fotogeschichtsschreibung, Timm Starl (Wien). Ein Tagungsband mit den Beiträgen ist geplant.
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