Für eine solidarische Welt

Was die Rosa-Luxemburg-Stiftung auf dem ökumenischen Kirchentag in München zu suchen hatte

  • Ilsegret Fink
  • Lesedauer: 4 Min.

So merkwürdig es klingt, 2003 wurde seit der Reformation erstmalig zu einem ökumenischen Kirchentag eingeladen, auf dem Katholiken und Protestanten Glaubensfragen und wichtige politische Ereignisse miteinander kritisch diskutieren konnten.

Als im 16. Jahrhundert der Augustiner-Mönch Martin Luther die kirchliche Praxis, die Eigentumsverhältnisse und die Moral der Regenten anhand biblischer Texte scharf kritisierte, hat er mündlich und schriftlich die Kontroverse mit Papst und Kaiser gesucht. Hatten diese doch jahrhundertelang emanzipatorische Bewegungen buchstäblich im Keim erstickt: etwa als der Rektor der Prager Universität, Jan Hus, samt seiner biblisch begründeten Streitschriften öffentlich zur Abschreckung der Christenheit verbrannt worden war. Luther hatte das von Kaiser und Papst erlassene Redeverbot um der aufzudeckenden biblischen Wahrheit willen ignoriert: Er war überzeugt, dass die Hierarchie »die Freiheit der Christen« entgegen der Bibel wissentlich verweigere.

Beim zweiten ökumenischen Kirchentag in München haben jetzt 125 000 Christen (der zwar immer noch nicht gleichberechtigten Kirchen) miteinander kritisch über Bibelinterpretationen und dringliche Probleme wie Klimawandel, Wirtschafts- und Finanzkrisen diskutiert und der dramatisch zunehmenden Verelendung von Menschen durch Wirtschaftskriege ein deutliches Nein entgegengesetzt.

Bemerkenswert war ein Gedenk-Gottesdienst, den Frauen für die Opfer von Hexenprozessen abhielten, denn auch evangelische Gemeinden waren noch lange für Hexenwahn anfällig. Bei einer anderen Veranstaltung bezeugten 6000 Zuhörer ihren Protest gegen die verschleiernde Reaktion der katholischen Kirche im Zusammenhang der jetzt aufgedeckten Fälle von sexuellem Missbrauch. Priester und Lehrer hatten sich an jungen Menschen vergangen, die ihnen anvertraut worden waren.

Wie bei den evangelischen Kirchentagen gab auch bei diesem ökumenischen Treffen eine Vielzahl solidarischer Initiativen als »Hilfe zur Selbsthilfe« Einblick in ihre Arbeit etwa in Lateinamerika, Afrika und Palästina. Friedensinitiativen wie »Sauberes Trinkwasser anstatt mehr Soldaten«, Abrüstungsinitiativen und medizinische Aktivitäten gegen Erblindung oder Aids luden mit informativem Material zur Mitarbeit ein. Kabarett, Theateraufführungen mit einem beeindruckenden Antikriegsstück zu Afghanistan und ein vor Ideen sprühender Kinder-Kirchentag wollten Hoffnung wecken.

Weil Kirchentage eine wichtige Lebensäußerung der Zivilgesellschaft sind, hat sich auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung wieder am »Markt der Möglichkeiten« beteiligt, mit Gesprächsangeboten und umfangreichem Informationsmaterial aus der Stiftungsarbeit. Der Stand trug das Motto »Leben ist mehr als Kapital«, ein Buchtitel des bekannten Befreiungstheologen Franz Hinkelammert aus Costa Rica. Seit Jahren ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung auch mit Vertretern der Theologie der Befreiung vor allem aus Lateinamerika auf ihren Veranstaltungen im Gespräch. Diese gesellschaftskritischen Theologen, die den biblischen Auftrag erfüllen, »auf der Seite der Armen deren Lebensrecht gegenüber den reichen Christen zu verteidigen«, werden vom Vatikan nicht nur ausgegrenzt, sondern als Marxisten verdächtigt und waren wie Bischof Romero aus El Salvador sogar in akuter Lebensgefahr. Für Romero, der vor 30 Jahren während seiner Messe am Altar erschossen wurde, wurde jetzt auf dem ökumenischen Kirchentag erfreulicherweise ein Gedenkgottesdienst gehalten.

Obwohl der amtierenden Ratsvorsitzende der EKD Nikolaus Schneider das Marktsystem als ein »Schlachtfeld« bezeichnete und Erzbischoff Ludwig Schick zur »Zähmung des Bankwesens« eine Finanz-Transaktions-Steuer und dazu ein neues gemeinsames Sozialwort der Kirchen forderte, und obwohl eine Großveranstaltung gegen »den Krieg ohne Ende« in Afghanistan protestierte, gab es zu diesen dringlichen Themen weder eine gemeinsame Resolution noch einen Forderungskatalog engagierter Christen an ihre jeweiligen Bischöfe. Zumindest wurde angeregt, den ersten Freitag im September gemeinsam als »Tag der Schöpfung« zu feiern, als Zeichen gegen die weltweite Umweltzerstörung.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte auch auf Kirchentagen dazu verhelfen, elementare Fragen neu zu bedenken, die den Zusammenhang von Kapitalismus, Sozialismus und Wegen zur lebensrettenden Veränderung deutlich machen. Viel Beifall bekam zum Thema »Banken und Zinsen« der jetzige Finanzminister Brandenburgs Dr. Helmuth Markov, als er mit großer Sachkenntnis und Humor mit zwei katholischen Theologen und Rabbiner Prof. Dr. Homulka Regularien für Geldinstitute als Rechtsschutz für Bürger einforderte. Die Stiftung hat eine Broschüre mit Texten zu »Theologie der Befreiung und demokratischem Sozialismus im Dialog« zusammengestellt, denn wir suchen Verbündete für »Kämpfe für eine solidarische Welt«.

Wir freuen uns, dass zwei Veranstaltungen zu diesem Thema gut besucht waren und es zu lebhaften Diskussionen gekommen ist. Fortsetzung auf dem evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden!

Die Theologin Ilsegret Fink ist freie Mitarbeiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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