Sicht der Nachbarn

Deutsche Einheit

  • Lesedauer: 2 Min.

Daniela Fuchs-Frotscher

Einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus wagte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg mit einem Kolloquium unter dem Titel »Der Weg in die deutsche Einheit. Die Sicht der Nachbarn«. Und diese waren diesmal mit Finnland, Österreich und Polen vertreten.

Nicht nur für Seppo Hentilä, Professor für Politische Geschichte an der Universität Helsinki, kam der Mauerfall überraschend. Er selbst sei aber persönlich immer der Überzeugung gewesen, dass die deutsche Zweistaatlichkeit nicht von Dauer sei. Den Mauerfall am 9. November 1989 habe man in Finnland zunächst mit gemischten Gefühlen registriert, da unklar war, wie die Sowjetunion darauf reagieren würde. Deren folgende Auflösung sei für die Finnen das relevantere historische Ereignis gewesen, so Hentilä. Bis zur Wende habe in Finnland ein positives DDR-Bild dominiert. Heute werde jedoch auch dort die DDR vornehmlich mit der Stasi-Problematik erinnert. Nach der deutschen Vereinigung sind Listen von finnischen IMs von deutschen Behörden übergeben worden, das Verfassungsgericht in Helsinki entschied jedoch, diese geheim zu halten. Vermutet wird, dass damit hochrangige Personen geschützt werden sollen.

Hannes Hofbauer aus Wien urteilte, dass die Entscheidung der österreichischen Regierung, nach Ungarn geflüchtete DDR-Bürger über ihre Grenzen zu lassen, nicht uneigennützig erfolgt sei: Man habe gehofft, DDR-Fachkräfte für die eigene Wirtschaft zu gewinnen. Hofbauer wusste auch zu berichten, dass der Bürgermeister von Wien, Helmut Zilk, bei seinen Landsleuten nicht nur Begeisterung auslöste, als er am 3. Oktober 1990 am Rathaus die deutsche Flagge aufziehen ließ.

Polen hatte sich bereits mit den Wahlen vom 4. Juni 1989 vom Staatssozialismus verabschiedet und damit zugleich, so Krzysztof Pilawski aus Warschau, für die deutsche Einheit votiert. Dennoch habe die Polen eine Urangst begleitet. Die wichtigste Frage war für sie im Zuge der deutschen Vereinigung, ob die Oder-Neiße-Grenze garantiert bleibe. Bestätigt wurde ihnen sowohl das Görlitzer Abkommen mit der DDR von 1950 wie auch der Warschauer Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland von 1970.

Bilanz nach 20 Jahren Einheit zog eine Podiumsdiskussion. In Finnland habe man eine schnellere Überwindung der Ost-West-Unterschiede erwartet, offenbarte der Gast aus Helsinki. Österreichische Universitäten profitierten von der Kompetenz ehemaliger DDR-Wissenschafter, die nach 1990 abgewickelt worden sind, informierte Hofbauer. In Polen verfolgte man aufmerksam, inwieweit undemokratische Kräfte in Deutschland Vorteile aus der Einheit zogen.

Für Hans Modrow, dem vorletzten Ministerpräsidenten der DDR, bleibt die Beschäftigung mit dem Geschehenissen vor 20 Jahren ein aktuelles Erfordernis.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.