Ermittlungen im »Fall L'Aquila«

Italien: War das Erdbeben vorhersehbar?

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 2 Min.
Hätte man das Erdbeben vorhersehen können, das am 6. April 2009 die Stadt L’Aquila zerstörte und 309 Menschen das Leben kostete? Von dieser Hypothese geht zumindest die italienische Staatsanwaltschaft aus, die jetzt Ermittlungen gegen neun hochrangige Katastrophenschutz- und Erdbebenexperten eingeleitet hat. Man wirft ihnen fahrlässige Tötung vor.

Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht eine Krisensitzung, die nur sechs Tage vor dem verheerenden Erdbeben stattfand. In den vorhergehenden Tagen hatte es rund um L’Aquila zahlreiche Erdstöße gegeben, die zwar keine größeren Schäden angerichtet, die Bevölkerung und den Bürgermeister der Stadt aber stark alarmiert hatten. Dieser forderte den Staat auf, in L’Aquila Katastrophenalarm auszulösen oder zumindest die möglicherweise notwendigen Hilfsmaßnahamen einzuleiten. Unter anderem sollten Feuerwehr und Krankenhäuser in Bereitschaft versetzt werden, um im Falle eines schweren Bebens gleich eingreifen zu können.

Die Experten wiegelten jedoch ab. Ein bekannter Seismologe soll während der Krisensitzung vom 31. Mai 2009 erklärt haben, ein schwerer Erdstoß sei nicht auszuschließen, aber auch nicht wahrscheinlich. Außerdem soll man eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen ignoriert haben, die dagegen von der »großen Wahrscheinlichkeit« solch eines Bebens ausgingen. Man habe der Bevölkerung und den lokalen Verantwortlichen die Wahrheit verschwiegen – möglicherweise, weil man keine Panik heraufbeschwören wollte. Aber so nahm man auch den Verlust von Menschenleben billigend in Kauf.

Mit diesem Vorgehen, so die Staatsanwaltschaft, habe man den Einwohnern der Gegend die Möglichkeit genommen, aufgrund der realen Situation, wie sie sich Anfang April 2009 präsentierte, die eigenen Entscheidungen zu treffen. Hätten sie gewusst, wie die Dinge liegen, hätten sie möglicherweise wenigstens die Nächte nicht in ihren Häusern verbracht – was übrigens eine Reihe von Personen in L’Aquila, die sich beruflich mit Erdbeben beschäftigen, tatsächlich getan haben. »Wenn es stimmen sollte, dass man Erdbeben nicht voraussagen kann, so ist das Gegenteil eben auch wahr. Warum hat man die Bürger nicht informiert?«, heißt es in einer Anzeige, die eine Gruppe von Bürgern erstattet hat. Auch sie hat die Ermittlungen jetzt in Gang gebracht.

Sollte es tatsächlich zu einem Prozess kommen, könnte der weit über die italienischen Grenzen hinaus Bedeutung haben. Auf der einen Seite müsste man nämlich klären, wie weit man Erdbeben voraussagen kann, und auf der anderen, auf wie viel Wahrheit die Bürger in solch einem Fall Anrecht haben.

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