Endlich mit szenischem Wagemut
Händelfestspiele in Halle: schönes Wetter, barocker Glanz und eine »Orlando«-Premiere
Für das sommerliche Festspielwetter, das gerade rechtzeitig mit dem Beginn Händelfestspiele in Halle, der Vaterstadt des Komponisten, einsetzte, können weder Stadtverwaltung noch die neue Leitung etwas. Sonnenschein und gutes Wetter gehören aber nicht nur bei den großen Freiluft-Konzerten am Ende der zehntätigen Festspiele irgendwie mit zu den Voraussetzungen des Gelingens.
Während der Festspiele, die deutlich über 20 000 Karten unters musikliebende heimische und anreisende Volk bringen müssen, schafft es sogar die ansonsten immer etwas mürrische Saalestadt zu lächeln. Weil es im letzten Jahr ein ziemlicher Erfolg war, gibt’s wieder einen diesmal sogar hügligen Rasen um das (übrigens einzige deutsche und seinerzeit auch von Queen Victoria gesponserte) Händel-Denkmal mitten auf dem Markt, bei dem sogar – eher britisch als deutsch – das Betreten erwünscht ist.
Auch die barocke Ausgestaltung des romantischen Innenhofes der Neuen Residenz erlebte eine Neuauflage. Diesmal hat man sich aber nicht wie im letzten Jahr mit einer kitschigen Garnierung blamiert, sondern durch diverse plätschernde Installationen barocke Gartenkultur wirklich von einer heutigen Ästhetik aus imaginiert.
Dazu passt auch der jährlich aktuelle Beitrag des heimischen Opernhauses, anhand dessen sich Halle den direkten Vergleich mit den Schwesterunternehmen in Karlsruhe und Göttingen gefallen lassen muss. Mit dem poetischen, ariosen »Orlando« aus dem Jahre 1733 steht jetzt wieder einmal jene von Händels über 40 Opern auf dem Programm, mit der in Halle 1922, nur zwei Jahre nach Göttingen, jene Renaissance begann, die den Barockmeister im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts endgültig auf die Opernbühnen zurückbrachte.
Auch die heute so beliebte Melange aus historischer Musizierweise und aufgeweckt flippiger szenischer Hinterfragung des Barock-üblichen Handlungswirrwarrs ist ohne die kontinuierliche, stets wissenschaftlich und editorisch begleitete Händel-Pflege kaum vorstellbar. Dass dabei die traditionsreichen Festspiele in Göttingen und auch in Halle oft mit dem größeren szenischen und manchmal auch musikalischen Wagemut einer Entwicklung konfrontiert werden, die sie selbst angestoßen haben, gehört dazu. Der neue Chef der Stiftung Händel-Haus und Festspielintendant Clemens Birnbaum kann sich dabei auf das mit über 2 Millionen Euro und dem Schwung des Händeljahres 2009 neu herausgeputzte Geburtshaus Händels und dessen neu hergerichtete Ausstellung stützen, mit der sich Halle ausdrücklich zum »Europäer« Händel bekennt. Schade nur, dass es in diesem Jahr bei der Einladung zur After-Show-Party im atmosphärischen Innenhof des Hauses nicht mehr zum traditionellen Freibier mit Bratwurst gelangt hat. Aber seis drum, in erster Linie gilt es ja der Kunst.
Und da muss sich vor allem das Händelfestspielorchester (als Teil der Staatskapelle Halle) mit seinen historischen Instrumenten längst hinter keinem Spezialensemble der internationalen Barockszene mehr verstecken. Der neue Chef der Formation, Bernhard Forck, brachte für die Eröffnungspremiere seine Erfahrungen in der Alte-Musik-Szene jedenfalls auf beglückende Weise ein, und das Protagonisten-Ensemble glänzte vor allem mit den beiden hervorragenden Countertenören. Owen Willetts überzeugte dabei als gefühlvoll leidender, aus enttäuschter Liebe beinahe rettungslos dem Wahnsinn verfallender Titelheld Orlando, und Dmitry Egorov als dessen Konkurrent Medoro, der bei der von beiden geliebten Angelica einfach die besseren Karten hat und die Oberhand behält. Die Schäferin Droinda und der wie ein Spielführer durchs Stück führende Magier komplettieren das Personal.
Zum musikalischen Niveau kommt diesmal auch ein in Halle doch schon etwas überfälliger szenischer Wagemut. Händels Variante der unzähligen Veroperungen von Ariostos »Orlando«-Epos ist so etwas wie eine Beziehungstragödie aus enttäuschter Liebe. Sie bietet Zauberei, Scheintot, Wahnsinn und ein mit der Brechstange herbeigezwungenes lieto fine und überzeugt vor allem durch ihre ariose Poesie.
Dass man sich bei der Inszenierung für Nicola Hümpel, Oliver Proske und ihre Berliner Off-Theatergruppe Nico & the Navigators entschieden hat, gehört eindeutig auf die Habenseite der Festspiele. Vor einem abstrakten Projektionshalbrund umspielen sie die Handlung mit zwei Performern eher assoziativ, als die Illusion einer Rittergeschichte zu erzeugen. Die stilisierte Bühnenästhetik erinnert an einen eher heiter verspielten Roberto Wilson. Die Leichtigkeit der zum Teil witzigen, zum Teil illustrierenden Kommentare greift die Sprünge in der Handlung dieser seria jedenfalls produktiv auf und kollidiert nicht mit ihnen. Das Premierenpublikum war bereit, diese vorsichtige, aber deutliche, ästhetische Öffnung mitzugehen.
Gespannt wartet die Festspiel-Gemeinde jetzt vor allem auf den Gala-Auftritt der aktuellen Händelpreisträgerin Cecilia Bartoli, der wohl zum Glanzlicht der über 40 Veranstaltungen werden dürfte.
Die Händelfestspiele in Halle dauern noch bis zum 13.6.. Nächste Aufführung von »Orlando« am 11.6. www.haendelfestspiele.halle.de
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