Parlamentssitzung unter freiem Himmel

Gegen die Sparpläne der Landesregierung protestierten Abgeordnete der Lübecker Bürgerschaft

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 2 Min.

Blättert man in der Chronik der Stadt Lübeck, stellt man fest, dass es so etwas noch nicht gegeben hat: Aus Protest über die Pläne der Kieler Landesregierung, die medizinische Fakultät in Lübeck aus sparpolitischen Gründen zu schließen, versammelte sich gestern die Bürgerschaft zu einer außerordentlichen Sitzung vor dem Kieler Landtagsgebäude. Eigentlich wollte man innerhalb des Landeshauses tagen, doch der Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) wies die Lübecker Anfrage auf einen Sitzungsraum ab.

Neben 51 von 60 Lübecker Stadtparlamentariern folgten noch rund 350 Demonstranten dem außergewöhnlichen Treiben unter freiem Himmel. Mit Trillerpfeifen, Rasseln und Tröten sorgte man für eine WM-reife Stimmung. Möglich gemacht hatte diese Open-Air-Politsitzung ein einstimmiger Bürgerschaftsbeschluss. Nach eineinhalbstündiger Einmütigkeit in Reden aller Lübecker Fraktionen, des Bürgermeisters Bernd Saxe (SPD) und des Lübecker Uni-Präsidenten Peter Dominiak wurde einstimmig ein interfraktioneller Appell an die Landesregierung zum Erhalt der Universität Lübeck verabschiedet.

Mehrere renommierte Wissenschaftler, die derzeit noch ihren Adresskopf in Lübeck haben, kündigten an, falls die Drohung der Landesregierung bestehen bleibe, sich aus der Stadt an der Trave verabschieden zu wollen. Unterdessen häufen sich bundesweite Proteste gegen die schwarz-gelbe Streichungsdrohung. Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Ernst Theodor Rietschel, spricht Tacheles mit den Verantwortlichen: »Das ist eine Entmündigung der Universität in eine Leibeigenschaft«, sagte er in Lübeck vor 600 aufgebrachten Zuhörern. Aus Regierungskreisen war zuletzt zu hören, dass bei Aufzeigen von alternativen Sparmöglichkeiten in Höhe von 24 Millionen Euro die Schließung des medizinischen Fachbereichs noch aus dem Sparkatalog verschwinden könne.

Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sucht am Sonntag mit seinem Wissenschaftsminister Jost de Jager (CDU) den Kontakt zu Saxe. Die Linkspartei hat den Schuldigen für die Aufregung bereits ausgemacht und fordert de Jager zum Rücktritt auf. Seitens der Demonstranten lautet der medizinische Befund laut einem Transparent: Todesursache – Morbus Carstensen.

Am nächsten Mittwoch hat sich eine Großdemonstration in Kiel angesagt, die auch von der Uni Flensburg unterstützt werden soll.

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