Problemfall Klinik-Seelsorge
Die multikulturelle Realität in Frankfurt am Main und ihre Folgen
Das Beispiel USA
»Die Realität hat sich von den vorhandenen Strukturen gelöst«, stellte der Frankfurter Pfarrer für Altenheim-, Krankenhaus- und Hospizseelsorge, Winfried Hess, fest. Beeindruckt hat den Seelsorgeausbilder bei seinem zweijährigen Aufenthalt in den USA die dortige Zusammenarbeit von Muslimen, Juden und Christen, die er sich auch in Deutschland wünscht. In seinen eigenen Seelsorgekursen, an denen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen teilnehmen, sagt Hess, lege er deshalb großen Wert auf kulturelle und religiöse Aspekte. »Ich möchte den leidenden Menschen nahe sein und sie aus ihrer Tradition heraus begleiten«, beschreibt der Pfarrer sein Ziel.
Auf die Unterschiede zwischen den USA und Deutschland wies der Sprecher der Deutschen Unitarier, Reverend Eric Hausmann, hin. Die Krankenhausseelsorger in den USA würden von den Kliniken bezahlt, die auch die Seelsorgeausbildung übernähmen. Zudem seien viele Klinikseelsorger Unitarier, was das Mitgehen auf unterschiedlichen religiösen Wegen möglicherweise erleichtere. Denn Unitarier seien eine freiheitliche religiöse Gemeinschaft, die offen sei für Menschen unterschiedlichen Glaubens.
Imame sind überfordert
Hess ist skeptisch, ob das US-amerikanische Modell in Deutschland funktionieren kann. Zu »imperialistisch« könne eine zentralistisch organisierte Seelsorgeausbildung auf die deutsche Befindlichkeit wirken. Auch der katholische Seelsorger an der Frankfurter Universitätsklinik, Rainer Frisch, sieht in einem solchen Systemwechsel keinen Vorteil. Er halte das deutsche System für besser. »Dass ich als Vertreter der Kirche außerhalb des Gesundheitssystems stehe, gibt mir gegenüber Patienten und Klinikpersonal eine ganz andere Freiheit, mich einzubringen.«
Muslime müssten deshalb genau überlegen, wie sie Seelsorge organisieren und aufbauen könnten. Auf jeden Fall sei sie notwendig, gerade auch in einer Stadt wie Frankfurt, ergänzte Frisch. Athenagoras Ziliaskopoulos, griechisch-orthodoxer Priester und Vorsitzender des Frankfurter Rates der Religionen, gab zu bedenken, dass Imame ebenso wie orthodoxe Geistliche nicht für die Seelsorge ausgebildet würden. Sie könnten auch nicht wie katholische und evangelische Kollegen auf die Unterstützung von ehrenamtlichen Seelsorgern setzen.
Fehlende Ressourcen beklagte auch Ilhan Ilkilic, Mediziner und Islamwissenschaftler an der Universität in Mainz. Mit der Forderung nach einer professionellen Seelsorge seien Imame in Deutschland oft überfordert. Ein Imam, der fünfmal am Tag zum Gebet rufen müsse und der einzige Ansprechpartner seiner Gemeinde sei, habe schon rein zeitlich Probleme, einen Gläubigen in seiner letzten Lebensphase zu begleiten.
Ilkilic warnte deshalb auch vor einer »unkritischen Übernahme« christlicher Seelsorgekonzepte und kritisierte »unzureichende Qualitätsstandards in den vorhandenen Projekten zur Ausbildung islamischer Seelsorger«. Wichtig sei ein »kultursensibel« geschultes Klinikpersonal, das ein Bewusstsein für die Barrieren zwischen Patienten und dem Behandlungsteam habe. Entsprechende Fortbildungen könnten von Ärztekammern und Berufsverbänden organisiert werden.
Spirituelle Hospize?
Im Prinzip ist dies auch der Ansatz der Frankfurter Palliativ-Krankenschwester Dorothea Mihm. Die Vorsitzende des Vereins für Lebens- und Sterbepraxis verfolgt seit Jahren ein Projekt zur Gründung eines spirituellen Hospizes in der Rhein-Main-Region. Das Konzept auf buddhistischer Basis sieht eine Öffnung für Angehörige aller Religionen vor.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.