Wie sag ich's meinem Kinde?

Kleiner Exkurs aus der persönlichen in die politische Welt: Kurzes Nachdenken über den richtigen Ton

  • Friedrich Schorlemmer
  • Lesedauer: 5 Min.

Den richtigen Ton finden … – davon weiß nicht nur die Töpferin ein Lied zu singen. Den richtigen Ton fürs schöne Handwerk finden! Schon ein kleiner Stein verdirbt alles.

Wie weh kann ein falscher Ton auf einem Instrument tun. Erst recht im Konflikt zwischen Menschen macht wirklich der Ton die Musik.

Und im gut-bürgerlichen oder besser gesagt: im zivilisierten Zusammenleben sagen wir, was zum guten Ton gehört und was nicht zum guten Ton gehört. Man kann sich ja so leicht im Ton vergreifen und dabei alles kaputt machen. Und das auch noch ganz unabsichtlich, einfach, weil für bestimmte Töne die Situation nicht passte, weil man missverstanden wurde oder gar ein Tabu, einen empfindlichen Nerv traf.

Ja, aber du kannst ebenso auch genau den richtigen Ton finden – und das tut so unendlich gut, das macht glücklich und zufrieden.

Wenn wir etwas Schwieriges mit einem Menschen, mit dem wir gerade über Kreuz liegen, zu besprechen haben, wird es kompliziert. Voll innerer Anspannung fragen wir uns: Wie finde ich wohl den richtigen Ton, die richtige Situation für das, was ich sagen will, und dann auch noch die richtigen Worte?

Was dabei herauskommt, ist meist etwas verkrampft, und dann geht es schlicht schief, und alles ist womöglich schlimmer als vorher. Und wir hatten es doch so gut gemeint. Sowie auf beiden Seiten oder auch nur auf einer zum Beispiel der Humor ausfällt, ist sowieso erst mal Hopfen und Malz verloren.

Es kann leichter gehen, wenn wir einander so offen und zugleich so vorsichtig wie möglich sagen, dass wir gerade eine gewisse Schwierigkeit spüren, das, was uns bewegt, richtig auszudrücken, statt einfach pur draufloszureden. Ich nenne ein Beispiel: »… ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll und ich möchte dich auch nicht verletzen, aber ich möchte es doch ansprechen …« Da wird der oder die andere sehr hellhörig oder: Was kommt nun?

Aber es kommt so ein großer Ernst ins Gespräch, und unser Gegenüber kann sich darauf einstellen. Oder es gehen alle Warnleuchten an – und alles missglückt. Es muss eben immer auch der richtige Moment sein. Und den kann man eben verfehlen. Oder gut treffen!

Der richtige Ton kann ein ganz leiser und manchmal muss er ein ganz lauter sein. In einem bestimmten Ton können wir fragen und klagen, bitten und befehlen, jammern und anklagen.

Manches sagen wir flüsternd, anderes kommt wie ein Schrei aus uns heraus.

Schweigen – einfach ganz da sein, ganz dabei sein und schweigen – auch das kann der richtige Ton sein.

Immer spricht die Situation mit, in der wir sprechen, auch die Beziehung, die wir gerade zueinander, die Geschichte, die wir schon miteinander hatten, der Gegenstand, um den uns es geht, oder die Situation, die wir miteinander zu bewältigen haben – oder etwa gar zu feiern haben.

Den richtigen Ton finden – bei einer Aussprache, nach einem Fehl-Tritt, bei einem Jubiläum, bei einer Hochzeit oder Taufe, am offenen Grab, am offenen Mikrofon, an der offenen Tür, im Stadtparlament, gegenüber den Kollegen oder dem Chef, der Chefin. Schließlich hat jeder seine Eigenarten – und die der andern kennen wir meist genauer als die unseren, jedenfalls die problematischen Eigenheiten.

Nicht zuletzt in der großen Politik kommt es sehr auf den richtigen Ton an, nicht bloß auf den Inhalt. Ich erinnere an den Brüllton der schwer kaschierbaren Lüge Adolf Hitlers – in alle deutschen Haushalte durch die Goebbels-Schnauze ausgestrahlt: »Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.«

So eine freche Lüge zu Beginn eines so verbrecherischen Krieges mit solch einem verräterischen, sich überschlagenden Tonfall.

Oder der Vergeltung ankündigende Ton G.W. Bushs nach dem 11. September: »Wir werden euch ausräuchern, wenn ihr ihn – also Bin Laden – nicht ausspuckt …« Dann begann vier Wochen später der aussichtslose, nunmehr ins zehnte Jahr gehende Afghanistankrieg.

Gut hatte Angela Merkel am 1. September 2009 an der Westernplatte, an der der Krieg vor sechzig Jahren begonnen hatte, den angemessenen Ton getroffen, während Wladimir Putin immer noch nicht bereit war, das voll anzuerkennen, was die Sowjetunion Stalins zu verantworten hatte: die geheime Aufteilung Polens.

Am 8. Mai 1985 fand Richard von Weizsäcker die richtigen Worte, die richtigen Inhalte und den richtigen Ton, als er seine große, lang bedachte Rede über den 8. Mai 1945 hielt. Ihm gelang es, die deutsche Kriegsschuld zu benennen, die Ambivalenz des Tages der Niederlage, der auch ein Tag der Befreiung war, einleuchtend zu verdeutlichen. Ihm gelang es, die Opfer des Raubkrieges und die Täter zu benennen und das Leid der deutschen Heimatvertriebenen am Ende des Krieges zur Sprache zu bringen. Auch deutsche Opfer benannte er ohne Relativierung deutscher Verbrechen und sagte auch etwas über die Reihenfolge des Leides.

Dieser 8. Mai 1985 gehört inzwischen zu den großen Daten der deutschen Geschichte, weil damit auch allen unseren Nachbarvölkern, die einmal unter uns gelitten hatten, ein Signal gegeben wurde: Das ist jetzt ein anderes Deutschland, vor dem andere sich nicht wieder zu fürchten brauchen.

Am 13. August 1961 fand Willy Brandt vor dem Schöneberger Rathaus den richtigen Ton – es hätte zu einer (Weltkriegs-)Eskalation kommen können. Die Wut der Berlinerinnen und Berliner war riesig, aber militärische Verwicklungen hätten zu einer atomaren Katastrophe geführt.

So fand Willy Brandt auch zielsicher den richtigen Ton, als er sich nach dem Abschluss des Moskauer Vertrages und des Warschauer Vertrages, von Warschau und von Moskau aus sich an das deutsche Volk wandte, um allen klarzumachen, dass die Ostgebiete infolge unseres Raubkrieges verloren sind und dass wir gute Partnerschaft mit unseren östlichen Nachbarn suchen müssen.

Besondere Herausforderungen begegneten Johannes Rau, als er als erster Präsident vor der Knesseth gesprochen hatte. Achten wir also immer darauf, wer wann wo wie vor wem den richtigen Ton findet – in unseren persönlichen Beziehungen und in großen gesellschaftlichen Fragen.

Das WIE bestimmt das WAS, ganz entscheidend.

Dazu gehört es, sich zu fragen, wem ich wann etwas sage.

Die Volksweisheit hat es in ein Sprichwort gefasst: »Wie sag ich’s meinem Kinde?« Letztlich sind wir alle Kinder.

Wer die von den vier Evangelisten aufgegriffenen Gespräche mit Jesus nachliest, wird staunen, wie er immer den richtigen Ton fand.

So, dass alle staunten – oder sich verwunderten ...

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -