Vom Flüssigwerden der Welt

Die Bühnenbildnerin Katrin Brack: ein starker Bildband

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein Regenschleier verhängt den ganzen Kleist: Bühnenbild zu »Prinz Friedrich von Homburg« am Maxim-Gorki-Theater
Ein Regenschleier verhängt den ganzen Kleist: Bühnenbild zu »Prinz Friedrich von Homburg« am Maxim-Gorki-Theater

Bühnenwettermacherin, so könnte man sie nennen, Spezialistin für atmosphärische Präzisionsarbeit. Ihre Bühnenbilder sind aufreizend schlicht, so schlicht, dass man sie schließlich für die natürlich gewachsene Umgebung eines Stückes hält. Nichts an ihnen ist zuviel.

Ihre Bühnen sind sämtlich Räume, die dazu provozieren, in ihnen zu spielen. Sowohl mit dem Raum als auch gegen ihn. Nun ist im Verlag Theater der Zeit ein Bildband erschienen, der Katrin Bracks Arbeit dokumentiert. Wunderbare Fotos! Man blättert und ist sofort eingefangen von Farbe und Form in ihrer elementarsten Gestalt. Was für eine Chronik des Theaters – allein aus Atmosphäre schöpfend. Einige derjenigen, die ihren Bühnen-Zumutungen ausgesetzt sind, beschreiben das in begleitenden Texten. Vom Schauspieler Samuel Finzi hören wir: »Wir kämpfen gegen Schlamm, Nebel, Konfetti, Schaum, Luftballons, Schaukeln ... Und wir kämpfen solange, bis wir diese Hindernisse überlisten, sie zähmen, uns mit ihnen anfreunden und beginnen, das Spiel mit ihnen zu bestimmen. Diese Kämpfe sind nicht einfach. Genauso wie es nicht einfach ist, einem vollendeten Gedicht eine neue Zeile hinzuzufügen.« So klingen Liebeserklärungen, die lange Umwege gehen müssen.

Dimiter Gotscheff, einer ihrer bevorzugten Regisseure, erklärte einmal das Geheimnis ihrer Zusammenarbeit: »Ich gebe ihr den Text, frage, ob er ihr gefällt. Dann ruft sie mich an und sagt: ›Ja, Nebel, gut.‹ Dann legt sie auf und nach zwei Minuten rufe ich dann bei ihr an und sage ›Ja, in Ordnung!‹. Und dann lege ich auch auf. Diesmal hat sie gesagt: ›Licht!‹« Zwei mitunter schweigsame Meister ihres Fachs bei der Arbeit, in der erst jeder für sich und dann beide gemeinsam versinken. Nebel, das war der Hauptakteur bei Tschechows »Iwanow« an der Volksbühne. Licht prägte das »Krankenzimmer Nr. 6« am Deutschen Theater, wo sie die Scheinwerfer fast bis auf Bodenhöhe herunterfahren ließ. Dort drehten und wendeten sie sich gefährlich surrend und mit ihren gläsernen Augen umherblickend wie Schicksalsgötter.

Gibt es außer Katrin Brack noch jemanden, den man mit dem Satz begrüßen könnte, das Wetter sei ja noch schlechter als beim »Prinz von Homburg«? Für Armin Petras' Inszenierung am Gorki-Theater schuf sie das Bühnenbild – stundenlang tropfte es vom Schnürboden herab, ein Regenschleier verhängte den ganzen Kleist. Vor einiger Zeit traf ich Katrin Brack zu einem Gespräch. Draußen vor den Fenstern des Cafés an den Hackeschen Höfen hing ein fein gearbeiteter grauer Regenschleier. Warum muss es denn im »Prinz von Homburg« immerzu regnen? »Ich hatte einen Artikel über den Irakkrieg gelesen, da ging es immer nur ums Wetter.« Und da war ihr plötzlich klar, was einen Krieg so furchtbar macht über das hinaus, was man sich an Schrecken ohnehin ausmalt: Dauerregen! Er holt noch jeden Helden in den Matsch der Tatsachen zurück. Man lernt wieder, was Warten heißt: Tropfen um Tropfen legt sich die Zeit auf das wortreich Ausgemalte. Am Ende fließt alles in den Gully.

»Unaufwendig und einfach« nennt sie derartige Bühnenbildlösungen, das Reduzieren von komplexen Zusammenhängen auf einen Punkt. Nein, korrigiert sie sich, es muss nicht einer sein, aber etwas Sinnfälliges, eine zusätzliche Dimension, mit der man spielen kann. So wie der Regen bei Kleist schon ein Einspruch ist gegen allzu eitles Textausstellen? Natürlich, der Regen rauscht immer dazwischen. Je länger er dauert, desto mehr reizt er die Nerven. Das monotone Tropfen kontrastiert die Kunstgestalt des Textes. Da bricht banale Außenwelt in den inneren Monolog ein – als miniaturisierter Terror. Staub und Hitze in der Wüste, der Schnee vor Stalingrad – die dabei waren, reden hinterher fast nur über das Wetter, das immer anders war, als man es sich gedacht hatte. Wäre das Wetter günstiger gewesen, hätte man vielleicht siegen können. Aber es ist derartigen Unternehmungen nie günstig, reißt den welthistorisch auftrumpfenden Wahnsinn aus dem verlogenen Himmel der Idealisierungen herunter. Irgendwann muss sich noch jeder Held dem beharrlichen Widerstand der Natur geschlagen geben.

Katrin Bracks Bühnenbilder scheinen immer wie verblüffende Verwandlungen von Aggregatzuständen. Es ist wenig zu sehen, aber alles wäre anders, wenn einiges nicht so wäre, wie es ist. Wie kann man diesen Minimalismus beschreiben? Bei Wassily Kandinsky in »Über das Geistige in der Kunst« lese ich etwas, das man für eine Antwort halten kann: »Jede Form ist so empfindlich wie ein Rauchwölkchen: das unmerklichste geringste Verrücken jeder ihrer Teile verändert sie wesentlich.« Funktionieren so nicht auch ihre Bühnenbilder?

Luk Perceval gab am Anfang ihrer Zusammenarbeit die Devise aus, das ganze Bühnenbild müsse in einen Kleintransporter passen. Praktische Anstöße auf dem Weg, den sie ohnehin gerade ging – hin zur immer reduzierteren Ausstattung. Die Leere der Bühne ist wie die Abwesenheit Gottes in der Welt: ein Herbeirufen, eine drängende Frage nach dem, was erst noch kommt. Katrin Bracks Bühnen illustrieren nichts, sie wollen nicht einmal interpretieren – es gibt sie eigentlich außerhalb der Vorstellung gar nicht, so wie bei Gotscheffs »Iwanow« an der Volksbühne. Lauter Nebel, der sich nicht heben will. »Ich finde, das Vergängliche am Theater ist gerade das Reizvolle.«

Ihre Bühnenbilder leben eben ihr eigenes Leben – auch dann, wenn sie so künstlich sind wie Nebel aus der Maschine. Sind es nicht letztendlich immer Zentralmetaphern, die auch das Stück schon vorab interpretieren? Katrin Brack, mehrfache »Bühnenbildnerin des Jahres«, blickte in ihre Tasse, als könnte sie aus dem Kaffeesatz die Antwort lesen. »Zuerst einmal«, sagte sie, »ist es ein bestimmtes Material. Als das ist es auch gemeint. Und dann, wenn man Glück hat, lädt sich dieses Material mit einer zusätzlichen Bedeutung auf.« Sie dränge die Inszenierung nicht in eine bestimmte Richtung, die Anstöße, die sie gibt, schaffen Raum für Entscheidungen des Regisseurs und auch der Schauspieler.

Da sind abrupte Richtungswechsel möglich. Ist eben ein Spiel-Raum und keine Installation für's Museum. So wie beim übermannshohen Schilf an der Schaubühne für Luk Percevals »Tod eines Handlungsreisenden«, diesem elenden Wohnzimmer mit angeschlossenem Dschungel? »Wieso Schilf?«, fragt Katrin Brack zurück, »das war doch kein Schilf, das waren ganz normale«, sie stutzt und sucht nach einem passendem Wort »na Topfpflanzen waren das, aus der Baumschule. Solche mit dichten Blättern«. Alle hatten sie gewarnt. Die gehen sofort ein! »Man muss sie nur pflegen, dann halten sie eine Weile durch, sie werden ja auch gut von oben beleuchtet.«

Und wie war das mit den farbigen Müllsäcken in Gotscheffs »Leonce und Lena« am Thalia Theater, die wie Herbstfarben hingetupft lagen? »Was denn für Müllsäcke?«, verwundert sich Katrin Brack, »das waren doch Schlafsäcke!« Ja, stimmt tatsächlich, aber ich habe da immer Müllsäcke assoziiert. Katrin Brack ist eine freundliche Frau, sie bleibt jederzeit mütterlich nachsichtig: »Ja sehen Sie, so meine ich das mit dem Material und den unterschiedlichen Bedeutungen, die sich für den Zuschauer damit verknüpfen.«

Katrin Brack weiß viel von der Erotik des Offenhaltens. Wenn auf der Bühne noch etwas passieren soll, dann darf nicht überall etwas herumstehen. Stattdessen muss man Stille erzeugen. Überall tickt die Lebensuhr. Im Rauschen des Regens oder der Blätter im Topfpflanzenurwald. Oder auch im Schotter auf dem Friedhof in Jon Fosses »Traum im Herbst«. Wie sei dieses Geräusch allen an die Nerven gegangen!

Ihre immer auf besondere Weise sinnlich erfahrbaren Bühnenmetaphern machen die Zwischenreiche des Natürlichen und Künstlichen sichtbar. Aber diese bleiben auch da, wo ihre Stofflichkeit bis ins Ätherische gesteigert wird, doch im Material gleichsam geerdet. Das provoziert widersprüchliche Denkbilder. Die Spiegel des wahren Gefühls in einer entfremden Welt haben eben immer Sprünge. Damit zu spielen erfordert einen eigenen Rhythmus und außergewöhnliche Schauspieler – solche wie Samuel Finzi und Wolfram Koch. Hinreißend war es, wie in Gotscheffs »Ubukönig« nach Alfred Jarry alles aus lauter Sloterdijkschen Blasen gemacht schien. Große und kleine, leichte, mit Helium gefüllte, die herumsegelten und aus dem Zuschauerraum wie Luftballon zurückgetupft wurden, und große schwere, die bedrohlich heranrollten. Manchmal steigen auch im Sumpf giftige Blasen auf, manchmal entpuppen sie sich hinterher als Globen. Ein buntes Universum. Die Herausforderung bestand nun darin, den anrollenden Kugeln mit einem leichten Hüftschwung auszuweichen. Das konnte komisch sein – und doch bleibt es immer auch eine schauerliche Groteske über die Beiläufigkeit der Gewalt, die die Macht erzeugt und die sich mittels schillernder Fantasieballen nur immer für kurze Zeit verzaubern – also befrieden – lässt.

Katrin Brack: Bühnebild / Stages. Hg. von Anja Nioduschewski (dt./engl.), Verlag Theater der Zeit, 250 S., brosch., 28 €.

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