Die Ärmsten müssen draußen bleiben
Die Fußballweltmeisterschaft tut dem Image Südafrikas gut, die Rechnung zahlen die Steuerzahler und die Marginalisierten
Weltmeister im Verlieren
Die Anhänger aus dem Mutterland des Fußballs sind im Ertragen und Feiern von Niederlagen wahre und unangefochtene Weltmeister, denen die US-Amerikaner immerhin nachzueifern versuchen. Ein solch britischer Fan ist Lesley, Fan eines Fünftligisten in London, dessen Namen er der Erwähnung im typischen britischen Understatement für überflüssig befindet. »Mal ehrlich gesagt. Ich habe niemals damit gerechnet, dass die Three Lions Weltmeister werden oder sonderlich weit kommen. Wir Engländer werden regelmäßig überschätzt.« Deutschland habe klasse gespielt und sei hochverdient weitergekommen. »Alles Gute für Euch, ich drück Euch die Daumen«. Auch das nicht gegebene Tor von Frank Lampard verdient seine Erwähnung nicht, stattdessen großer Respekt vor Deutschland, die der Mittzwanziger für mich überraschend schon vor dem Turnier für einen großen Titelfavoriten gehalten hat. »Trotz des Ausfalls von Ballack?«, frage ich. »Gerade darum«, antwortet er, der Ballacks Spielweise nicht sonderlich schätzt und ihn in seiner Chelsea-Zeit quasi vor der Haustür beobachten konnte. Ballack mache das Spiel langsam, jetzt ist es schnell, so seine Analyse.
Die ungemein hohe Wertschätzung, die der deutschen Mannschaft und damit auch den Deutschen entgegengebracht wird, zog sich seit dem herausragenden Turnierstart beim 4:0 gegen die Socceroos durch die ganze WM. Selbst die Australier sehen das so, auch wenn sie wie Dave bedauern, dass Deutschland eben die paar Tore zuviel geschossen hat, die ihnen selbst das Weiterkommen verbauten. Nicht wenige von ihnen befinden sich auch in der letzten WM-Woche noch zahlreich im Land, versuchen überflüssig gewordene Karten an den Mann oder die Frau zu bringen, verfolgen weiter interessiert die WM und geben sich den vielfältigen touristischen Möglichkeiten hin, die gerade Kapstadt und Umgebung von Tafelberg über Robben Island bis hin zum Kap der Guten Hoffnung und den Winelands (Weinanbaugebieten) so überreichlich bietet. Die Länge des Südafrika-Trips wurde von Anbeginn von vielen nicht an das Abschneiden der eigenen Mannschaft geknüpft.
Dasselbe gilt für die Lateinamerikaner. Am vergangenen Freitag feierten die Argentinier noch das Ausscheiden der Brasilianer, was bei denen nicht gut ankam und auf der Long Street zu leichteren Scharmützeln geführt hat, die die reichlich präsente Polizei freilich im Keim ersticken konnte. Am Tag darauf mussten die Argentinier ihre eigenen Wunden lecken. Länger als einen Tag oder eine im Frust durchzechte Nacht geben sich die weitgereisten Fans damit aber in der Regel nicht ab. Marcos, ein 26-Jähriger aus Buenos Aires, redet von einer bitteren Schlappe und schweren taktischen Fehlern Diego Maradonas, seinen Aufenthalt will er sich dadurch nicht vermiesen lassen. Zumal, wie er sagt, Deutschland um Längen überlegen gewesen sei, ganz anders als beim Ausscheiden 2006.
Fußball ist eine schöne Nebensache
Maradona verfluchen will Marcos aber auch nicht, in Argentinen habe der nun mal gottgleichen Status. Fußball ist für ihn zwar die schönste Nebensache der Welt, aber eben doch Nebensache. Tagelang über das Ausscheiden zu trauern, ist seine Sache sowenig wie die der anderen Südamerikaner. Ricardo, ein Portugiese, der lange Zeit in Buenos Aires gelebt hat und Lateinamerika bestens kennt, erklärt das so: »Für die lateinamerikanischen Fans ist das Dabeisein bei einer WM das Größte. Alle Zuhausegebliebenen beneiden sie darum. Da lässt man sich durch eine Niederlage nur kurz die Stimmung verderben.«
Was für die Lateinamerikaner gilt, galt für die Südafrikaner ohnehin. Es nervt sie schon ein wenig, dass die Bafana Bafana (Die Jungs) unrühmlich Geschichte geschrieben haben und als erste Gastgebermannschaft nicht in die zweite Runde eingezogen sind. Andererseits sind sie stolz darauf, mit dem Sieg gegen Frankreich einen gelungenen Turnierausstieg vollbracht zu haben. Auch für die Südafrikaner ist Fußball ein Freizeitvergnügen, das hohe Bedeutung hat, mehr jedoch nicht.
Bedeutung ganz anderer Art hat die WM für all jene, die im Zuge von Bau- und Verschönerungsmaßnahmen ihre Armutsquartiere im Kapstädter Zentrum verlassen mussten. Ihre Botschaft während der WM war klar: Während die Ärmsten der Armen in Kapstadt und in Südafrika leiden, vergnügen sich die Reichen in den Stadien auf Kosten der Armen. Allein das Stadion in Kapstadt, das auf Geheiß des FIFA-Chefs Sepp Blatter in Ufernähe mit malerischem Blick auf den Tafelberg gebaut wurde, kostete 420 Millionen Euro. Die Delft Anti-Eviction Campaign hat dagegen von Anbeginn protestiert. Arthur, ein Rastafari und Kampagnenaktivist, beklagt, dass für die Armen nicht einmal Sportplätze zum Bolzen zur Verfügung stünden. Seit dem 13. Juni organisiert die Kampagne den »Poor People’s World Cup« (Weltmeisterschaft der armen Leute). Manche Spieltage entfielen mangels von der Kommune zur Verfügung gestellter Spielflächen, erzählt Arthur.
Umgesiedelt auf eine »Müllkippe«
Statt Sportplätzen für alle wurden jede Menge Stadien gebaut, deren künftige Verwendung mehr als fraglich ist. Mit Geldern, die anderswo fehlen. So fiel die ursprünglich angedachte Entwicklung rund um das Stadion des Stadtteils Athlone, wo bestenfalls die untere Mittelschicht in kleinen Häusern wohnt, dem Blatterschen Willen zum Opfer.
Denn wer die Weltmeisterschaft will, holt sich damit auch den Weltfußballverband FIFA ins Haus, der einseitig bestimmt, wo’s langgeht und für die Dauer des Turniers ein Ausnahmerecht schafft. Arthur fragt nach dem Ergebnis der WM für die Armen und gibt selbst die Antwort: »Für die Ärmsten der Armen wird sich nichts ändern. Die herrschende Klasse in Südafrika interessiert sich nicht für die ganz unten.«
Die Demonstration vor dem Kapstädter Rathaus am 2. Juli scheint ihm Recht zu geben. Obwohl der Bürgermeister Dan Plato in Kenntnis gesetzt war, dass die Aktivisten ihm ein Memorandum übergeben wollten, ist er wie auch sein Vize abwesend, bekunden untergeordnete Angestellte. »Wir wollen mit Dan Plato sprechen, nicht mit seinen Boys«, skandieren die etwa 50 Demonstranten. Erwartet worden waren 500 Bewohner aus Blikkiesdorp, das rund 20 Kilometer vom Kapstädter Zentrum entfernt liegt. Dorthin wurden viele jener umgesiedelt, deren Unterkünfte WM-Baumaßnahmen weichen mussten.
Dan Plato versprach vielen von ihnen feste Häuser. Schlließlich wurden sie in Notlagern untergebracht, die eine Frau als Müllkippe bezeichnet, auf der Dan Plato Menschen entsorgt hätte. Unter katastrophalen sanitären Bedingungen, weit weg vom Stadtzentrum, von Arbeitsgelegenheiten, guten Schulen. Viele gingen überdies ihrer sozialen Netzwerke verlustig. Warum nicht mehr zur Demonstration gekommen seien, angesichts dieser Umstände, frage ich Arthur. »Viele können sich nicht einmal das Fahrtgeld von Blikkiesdorp ins Zentrum leisten«, meint er. Zwar hat auch die Anti-Eviction-Campaign wegen der WM medialen Zulauf erhalten, den es ohne das Großereignis nicht gegeben hätte. Dass sich das in einer Verbesserung der Lebensumstände niederschlägt, ist freilich nicht zu erwarten. Die Weltmeisterschaft hat das von Gewalt und Kriminalität geprägte Bild von Südafrika aufpoliert. Die darunter liegenden Ursachen und Probleme konnte man zwar wahrnehmen und in Form von Bettlern kaum ignorieren. Doch weder Fans noch Medien kamen, um sich damit intensiver auseinanderzusetzen. Es war bestenfalls die Begleitmusik bei der großen Party. Für die Südafrikaner ist es Alltag.
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