Köstlich Subversives

Kino vor 100 Jahren. DVD-Edition des Filmfestivals Bologna

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 2 Min.

Beim Filmfest Il Cinema Ritrovato in Bologna, wo Stummfilm und Tonfilm, Cinemascope-Epen und frühes Kino parallel gezeigt werden, gehört die Programmschiene »Kino vor hundert Jahren« zu den jährlichen Highlights. 2009 gab es erstmals eine begleitende DVD mit einer Auswahl des Filmprogramms zum Kinojahr 1909. Und weil 2008 erstmals auch die Rolle der Frau im frühen Kino einen eigenen Schwerpunkt bildete, ebenfalls (ko-)kuratiert von Mariann Lewinsky, hatte es in diesem Jahr gleich zwei DVDs geben sollen, eine mit Filmen von 1910 und eine mit komischen – und teilweise ziemlich anarchischen – Filmen mit, um und von Frauen, eine Revanche der zumindest im Kino vor und hinter der Kamera nicht mehr ganz so Unterdrückten.

Der Wirtschaftskrise wegen blieb es bei einer DVD. Die wurde den Frauen gewidmet, ausgehend vom Filmjahr 1910, und unterteilt in vier Kapitel: »Außer Rand und Band«, »Bei der Arbeit«, »Spielarten der Liebe« und »Suffragetten« (Spielfilme und Dokumentarisches). Rund zwei Stunden Material mit Zwischentiteln in diversen Sprachen, durchgehend englisch untertitelt, und einer Klavierbegleitung von Eunice Martins, Hauspianistin am Berliner Kino Arsenal. Subversive Slapstick-Komödien sind da zu sehen, »Hausmädchen-Kino«, das für ein paar total enthemmte Leinwandminuten zum Befreiungsschlag ansetzt gegen alle Zwänge wirtschaftlicher, sozialer oder patriarchalischer Art.

Wahre Zerstörungsorgien oft, wie in dem quälend komischen »Cunégonde reçoit sa famille« (Frankreich, 1912), wo die Herrschaft das Dienstmädchen anweist, erst die Wohnung in Ordnung zu bringen, bevor es seiner aus der Provinz angereisten Verwandtschaft die Stadt zeigen darf. Woraufhin Cunégondes Familie sich mit Inbrunst an die Mithilfe macht, damit sie schneller frei hat. Wie da Polstermöbel und Klavier mit Schrubber und viel Wasser traktiert werden, bis sie garantiert porentief rein sind, ist von so durchschlagender Wirkung, dass keine Zimmerdecke solch’ geballtem guten Willen lange standhält. Auch wer sehen möchte, welch’ Maß an häuslicher Zerstörung sich mit einem simplen Wollknäuel anrichten lässt, sollte nicht Nachbars Kätzchen zusehen, sondern der italienischen Serienheldin Lea (Lea Giunchi), die stricken statt lesen soll und auf der Suche nach ihrem verlegten Faden wie nebenbei so gründlich die Wohnung zerlegt, dass ihr fortan lieber das Lesen gestattet wird.

Mariann Lewinsky (Hg.), Cento anni fa. Attrici comiche e suffragettes 1910-1914. (Kino vor 100 Jahren: Komikerinnen und Suffragetten 1910-1914). Edizioni Cineteca di Bologna 06, 2010. DVD & Begleitbroschüre (ital./engl.). 19,90 €.

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