Geschichte vom Eros des Verborgenen
Die Theatermasken des Wolfgang Utzt
An der Melancholie kommt man nicht vorbei an diesem Nachmittag in Neuhardenberg. Die Ausstellung »In Masken geht die Zeit« wird eröffnet, das Begleitbuch zur Ausstellung vorgestellt: eine Werkschau von über vierzig Jahren Theatermasken Wolfgang Utzts, dem einstigen Chefmaskenbildner des Deutschen Theaters Berlin.
Welch ein großer Künstler und welch ein bescheidener Mensch! Aber niemand ist da von der Intendanz jenes Hauses, dessen Gesicht Utzt mit seinen Masken über Jahrzehnte prägte. Eine fatale, eine selbstmörderische Geschichtslosigkeit ist über das DT gekommen – und keine Anzeichen der Einsicht, dass man so kein Theater machen kann, das über den Tag hinaus Gewicht hat.
Denn die Masken von Utzt gehören zum Bildgedächtnis nicht nur von Inszenierungs- und Theatergeschichte, sondern auch jener Maschine mit dem Namen Geschichte, die ihre blutige Spur durch die Jahrhunderte zieht. Frank Hörnigk, zusammen mit Caroline Gille Kurator der Ausstellung, zitiert im Eingangsessay des Begleitbuches einen Satz von Heiner Müller, in dem man ein Leitmotiv der Ausstellung sehen sollte: »Um den Alptraum der Geschichte loszuwerden, muß man zuerst die Existenz der Geschichte anerkennen. Man muß die Geschichte kennen. Sie könnte sonst auf altmodische Weise wiedererstehen, als ein Alptraum, Hamlets Geist.«
Utzt-Masken sind solche Wiedergänger der Geschichte – und wie jede Maske, ihrem ursprünglichen rituellen Zweck nach, ein Versuch, diese bösen Geister zu bannen. Ein Fetisch zum Zaubern, ein Medium, mit den Ahnen zu verkehren und mit ihnen, wenn schon keinen Frieden, so doch eine Art Waffenstillstand zu schließen.
Vor der Ausstellung kommt die Musik – und schon ist klar, dass jede Maske hier Geschichten erzählt. Die »Jazz-Optimisten« erinnern daran, dass vor 48 Jahren am DT »Der Frieden« von Peter Hacks Premiere hatte – und sie die Musik dazu machten. Um sie hier für Wolfgang Utzt zu spielen, haben sie vorher mit Fred Düren, heute Rabbiner in Israel, telefoniert, der damals den Trygaios spielte und ihn um seinen Segen gebeten. Er gab ihn. Nun denn: »Die Oliven gedeihen, der Krieg ist vorbei.«
Bernd Kaufmann, Generalbevollmächtigter der Stiftung Schloss Neuhardenberg, spricht zur Eröffnung – und wie er das anfängt, zeigt ein für einen Kulturmanager erstaunliches Maß an eben jener feinsinnig-ironischen Distanz zum eigenen Metier, die ihn nun auch über die Kunst der Maske in durchaus eigener Sache sprechen lässt: »Und wäre der Begriff ›Maske‹ nicht schon durch eines Boxers Namensgewicht und durch Sternheims Trilogie aus eines Spießers Traumland vernutzt und verbraucht, Wolfgang Utzt hätte es verdient, dauerhaft das Wort ›Maske‹ seinem Familiennamen hinzugefügt zu sehen. Denn mit ihm war stetig einer am Werke, der das Gesetz der Bühne im Blute hatte.«
Die Schauspieler sind es vor allem, die ihm seine Arbeit danken. Viele sind zur Eröffnung gekommen: Jörg Gudzuhn, Simone von Zglinicki, Barbara Schnitzler, Reimar J. Baur, Horst Hiemer, Dagmar Manzel, Robert Gallinowski ...
Betritt man die Ausstellung im Kavalierhaus, ist schnell klar, was diese vor allem ist: ein Erinnerungsraum, in dem das Vergangene eine sehr gegenwärtig Gestalt findet. Insofern sind Masken immer Zeichen, die Bilderwelten aufrufen. Eine lange Reihe von Inszenierungen – gelungene und misslungene, Überraschungen und Enttäuschungen. Gleich am Eingang in einer Vitrine die abgeschlagenen Köpfe der Söhne des Titus Andronicus von 2001 – eine Spezialität von Regisseur Hans Neuenfels, der am DT nur kurze Zeit und wenig erfolgreich agierte. Aber woran misst sich der Erfolg? Wolfgang Utzts Masken haben einen langen Weg über die Bühne hinter sich. Aber sie stehen nun auch für sich und mitten im Panorama des Welttheaters. Manchmal erwies sich der Weg auch als zu lang, wie bei dem Inszenierungsversuch von »Faust. Zweiter Teil«I, den Friedo Solter 1983 unternahm. Viele Probenmasken sind zu besichtigen, Alexander Lang und Dieter Mann in wechselnden Rollen als Faust und Mephisto. Aber die Inszenierung verlief sich im mythischen Gestrüpp der Vorlage – und wurde nach Monaten intensiver Vorbereitung abgebrochen. Utzts Masken dokumentieren nun auch das Versäumte. Sein Freund, Bildhauer Werner Stötzer, der kürzlich verstarb, sah in ihm folglich einen »Schamanen«, einen Beschwörer des in allem allzu Offenbaren hartnäckig Verbergenden.
Die Masken schaffen dabei einen Raum ganz aus Atmosphäre. Hamlets Geist ist hier tatsächlich anwesend. In einem Filmausschnitt aus Heiner Müllers »Hamlet/Hamletmaschine« sehen wir Ulrich Mühe als Hamlet, auf das Gespenst seines Vaters treffend: erschütternd. Mühe ist in all diesen Inszenierungen, von denen nur Erinnerungen und Masken bleiben, allgegenwärtig. Und wir erfahren, was ein Maskenbildner wie Utzt auch ist: eine Zeichner ersten Ranges. Die Farbskizzen zu Müllers »Lohndrücker« von 1988 zeigen uns Dieter Montag als Balke und Ulrich Mühe als Stettiner. Letzterer hält uns die Handflächen seiner leuchtend roten Hände entgegen, das Gesicht ganz blau. Es brennt und es erstirbt. Was gäbe man darum, einige dieser Inszenierungen noch einmal sehen zu können. Etwa Calderons »Das Leben ist Traum« (Regie: Friedo Solter). Die Maske des Zigismund (Ulrich Mühe) hüllt sich in Schweigen.
Eine Empore führt hinauf in einen Raum, der der Werkstatt des Maskenbildners nachempfunden scheint. Es liegt ein Geruch von Leim und Farbe in der Luft. Diese Kunst ist eben auch Handwerk, wie wohl alle Kunst, die mehr als Behauptung ist. Im Hintergrund stehen in einer Reihe Einstein, Stalin, Hitler, Cäsar und Madame de Stael. Thomas Bernhards »Theatermacher«, ein Weltpanorama des Spiels von Geist und Barbarei. So wird man hier zum Flaneur durch eine Ausstellung, die sich nicht davor scheut, den übervollen Eindruck einer mittelalterlichen Wunderkammer zu erwecken. Am Ende muss sich jeder seinen Pfad durch diesen Urwald der Erinnerung selbst suchen.
Und plötzlich weiß ich, wie falsch es ist, das Ende der Maske auf dem Theater zu beklagen. Die falschen Gesichter bringen sie uns zurück. Denn ohne die Maske ist moderne Kunst gar nicht denkbar – jenes Elementare, das auf einen Anfang zurückgeht, der weit zurückliegt und doch etwas ist, mit dem man hier und jetzt anfangen kann. Und so geht man durch diese wunderbare Ausstellung, mit Erinnerungen streitend. Welch wunderbare Schauspieler, die die Maske nicht fürchten mussten!
Gesicht zeigen! – lautet einer dieser populären Aufforderungen des Zeitgeistes, der mit einer neuen geistigen Harmlosigkeit, aber nicht der verborgenen Dialektik der Geschichte rechnet. Denn ein Gesicht, ohne die Maske als Mittel der Selbstdistanzierung, bleibt geistlos, bestenfalls Fratze. Eine Lüge! Erst mit der Maske kommt der Geist ins Gesicht, jener Geist, der so gewaltsam die Jahrhunderte durchweht: Geschichte.
Frank Hörnigk, Autors des reich bebilderten Begleitbuches, formuliert geistig weit ausgreifend, das Spiel der Masken sei ein Vorgang universeller Täuschung. Anders gesagt: Die Maske zeigt uns, dass es keine einfachen Wahrheiten gibt. Oder wie es Christa Wolf sagt: »Nicht jeder Konflikt ist jedem Menschen zu jeder Zeit lösbar.«
Bis 7. 11. im Kavalierhaus, Schloss Neuhardenberg, Di bis So 11 - 19 Uhr.
Frank Hörnigk »In Masken geht die Zeit«, 176 S., Verlag Theater der Zeit, 22 Euro
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