Der Kerbpfahl

Der Pole Wajda erhält russischen Orden

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Andrzej Wajda erhält den russischen Freundschaftsorden. Sein Lebenswerk, so der Kreml, habe »viel für die russisch-polnische Freundschaft« getan. Ehrung für einen Regisseur der Weltfilmkunst, der zu sowjetischen Zeiten in Moskau als wenig gelitten galt. Damals war diese Distanzkraft Wajdas Charakter, der auch Einsamkeit schuf – diese Außenseiterschaft, diese vom polnischen Künstler durchgehaltene Verachtung des staatskommunistischen Geistesenge mutierte nun zum Grund hoher Ehre.

Seine internationalen Ruhm hat Wajda (Foto: dpa) durch unbeugsame nationale Würde errungen. Er erreichte und bewegte die Welt, indem er gleichsam provinziell blieb. Mit großer Behauptungskraft ein Kritiker dieser Provinz, die Menschenart ist, stets und überall auf der Welt. Er hat Polen gesungen, wo es am Boden lag; und dort, wo man von Befreiung hymnisierte und von neuer Zeit, da blieb er der Wache an den immerwährenden Abgründen. Unvergesslich das Ende von »Asche und Diamant« (1958), da Maciek, der Soldat der bürgerlichen Exilregierung (der unvergessliche polnische James Dean, Zbigniew Cybulski), auf einem Müllberg verreckt – und in die Arme des Kommunisten sinkt, den er auftragsgemäß niedergestreckt hatte. Zwei Tote, polnisch glühend aus entgegengesetzten Gründen, im sinnlosen Sterben vereint. Die Stunde Null nach dem Krieg – für Wajda nur eine Illusion.

»Der Mann aus Marmor«, »Der Mann aus Eisen« – zwei Filme nur aus der Reihe der Meisterwerke, mit denen Wajda die sozialistische Zensur herausforderte, dies Risiko mit jahrelangem Warten auf Freigabe bezahlte und so zu einem geistigen Wegbereiter von Solidarnoscz wurde; in der Kriegsrechtzeit verlor er seine Präsidentschaft über den Filmverband, drehte im Ausland – und zwar »Danton«, die Revolution als Blutbesäufnis.

Im nächsten Jahr wird Wajda fünfundachtzig. Der russische Orden gewinnt besonderen Glanz dadurch, dass er just jenem Regisseur gegeben wird, der »Das Massaker von Katyn« drehte, den Film über die Erschießung tausender polnischer Offiziere 1940 in den Wäldern bei Smolensk durch die sowjetische Geheimpolizei. Kurz nach den Deutschen 1939 waren auch die Sowjets in Polen eingefallen; als die Nazis 1943 die Leichen entdeckten, eröffneten sie einen antisowjetischen Propagandafeldzug, der nach der Befreiung 1945 von den Kommunisten fortgesetzt wurde – die Katyn umdatierten, auf 1941, und den Massenmord als deutsche Untat umdeuteten. Woran in allen Jahren Sozialismus nicht gerüttelt werden durfte. Bis Gorbatschow kam.

»Wer das Thema berührte«, sagt Wajda, »der kam ins Gefängnis. Wenn das Sowjetsystem noch existierte, müsste mein Film sich gegen dieses mörderische System wenden. So aber wurde daraus ein Film über die Vergangenheit. Ich wollte zeigen, dass Katyn von einem Verbrechersystem verursacht wurde, auf Befehl Stalins – nicht so dumm allgemein gesagt von ›den Russen‹«. Auch Wajdas Vater wurde in Katyn ermordet.

Es ist – wie zahlreiche Werke Wajdas – ein Film gegen die politische Praxis, aus der Wahrheit eine ideologische Handelsware zu machen: Veröffentlicht wird nur, was den eigenen Zielen nützt. Geschichtlich lang ist die Spur dieser Anmaßung, und Wajda erzählte immer wieder das Drama jenes begabten Menschen, der die Welt kurzerhand als einen unentrinnbaren, interessegesteuerten Geschichtsprozess nimmt, bei dem man Ursachen und Wirkungen klar im Kopf hat (der Kopf wird leichter dabei!), aber die böse unerklärlichen Geheimnisse und Mördereien auch auf der Seite der Gerechten einfach leugnet . So entstehen Klassenbewusstsein und Anpassungslist, Standpunkthärte und Mitläufermentalitäten. Aber gerade »Katyn« erzählt auch das Drama des für Lüge unbegabten Menschen. Der beim Verhör ein dargereichtes Rettungspapier wegschiebt, das ihn um den Preis einer Unterschrift und also der Bejahung von Propagandaheuchelei viel Vorteil, gar Leben bewahren würde. Oder der nicht bereit ist, sich selber quasi umzuschreiben (»nein, ich habe nur einen Lebenslauf«).

Die Tragik der Kommunisten liegt für Wajda in der Wahrheit, dass sich zerstörte Moral und Ethik nicht im selben Umfeld erneuern können, wo man mithalf, sie zu vernichten – auf dem Hassboden, der auch durch Katyn weiter festbetoniert worden war, konnte eine polnisch-sowjetische Freundschaft nicht so ohne Weiteres gedeihen. Schon am Anfang des Films der Zerreißpunkt: 1939, auf der Brücke über den Bug schieben sich fliehende Menschenströme ineinander: Das »Die Deutschen kommen!« wirft sich gegen das »Die Russen kommen!«

Wajda zeigt in einer einleuchtenden Metapher, wie zwei russische Soldaten eine rot-weiße polnische Fahne zerreißen – der rote Teil wird als Fahne gehisst, der weiße zum schmerzlindernden Fußlappen. Doch er zeigt auch den sowjetischen Offizier, der unter Gefahr der eigenen Verhaftung die Hauptheldin Anna, Frau eines Katyn-Opfers, vor dem Abtransport durch seine Genossen versteckt. Durch alle Szenen scheint der alte Wajda zu blicken, als habe er endlich, durch langlebiges Schweigenmüssen hindurch, seinen Film gedreht. Es darf an Botho Strauß gedacht werden: »Der Autor als Kerbpfahl, in den seine Zeit ihre schrecklichen Schulden schnitt.«

Wajdas Lebenswerk: Es erzählt davon, dass jede Macht einer befleckten Empfängnis entspringt. Und wenn sie ihren Sieg verkündet, mit welch edlem Wort auch immer, dann verkündet sie doch nur einen zweifelhaften Sieg. Der darin besteht, wahrscheinlich zu viele Menschen gefügig gemacht, sie somit in befleckende Unempfänglichkeit gestürzt zu haben. Auch höchste Ideen zeugen Sklavenheere.

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