Die halbe Wahrheit

Gerhard Beil verstorben. Das leztes Zeugnis eines Außenhändlers

  • Frieda Groß
  • Lesedauer: 4 Min.
Unerwartet ist am Donnerstag der ehemalige DDR-Außenhandelsminister Dr. Gerhard Beil im 85. Lebensjahr in Berlin-Karolinenhof an Herzversagen verstorben. Damit ist eine weitere bedeutende Persönlichkeit aus dem inneren Führungszirkel der DDR verstummt, die Intimkenntnisse über Vorgänge hinter den Kulissen der Macht hatte. Kurz vor seinem Tod hat Gerhard Beil seine Memoiren herausgebracht.

Der Titel des Buches des letzten Ministers für Außenhandel der DDR (1986 bis 1990) ist sehr sachlich und allgemein gehalten: »Außenhandel und Politik«. Und doch ist man neugierig auf das, was hier aus berufenem Munde zu erfahren ist. Der Verfasser trug in der Endphase der DDR die Verantwortung für die Leitung, Planung, Organisation und Kontrolle des Außenhandels, gemäß der Außenhandelsverordnung (AH-VO) und dem Statut des Ministeriums für Außenhandel der DDR (MAH-Statut). Die entsprechenden Erwartungen des Leser werden aber bereits durch das Vorwort gedämpft.

Beil macht deutlich, dass es ihm primär darum geht, aufzuzeigen, wie die DDR seit ihrer Gründung politisch, wirtschaftlich und ideologisch – vornehmlich vom westdeutschen Kapitalismus – bekämpft worden ist. Dieser unbestreitbaren historischen Wahrheit widmet er im Wesentlichen seine Erinnerungen. Daher glaubte die »FAZ« (14.6.) ihre Rezension auch wie folgt titeln zu müssen: »Der letzte Minister für Außenhandel der DDR trauert dem Honecker-Regime nach«. Mochte dies dem Verfasser zwar wie eine Bestätigung der von ihm konzidierten Feindschaft des Westens erscheinen, so ist doch fraglich, ob seine auf die Systemauseinandersetzung verkürzte Darstellung einen vorurteilsfreien, an der Geschichte des DDR-Außenhandels objektiv interessierten Leserkreis befriedigt.

Im Nachwort erwähnt Gerhard Beil die »hochqualifizierten Außenhändler mit Erfahrungen und exzellenten Sprachkenntnissen«, die in seinem Verantwortungsbereich tätig waren und deren Wissen, wie er tatsachengleich feststellt, in der heutigen Ordnung nicht mehr gefragt ist. Gerade Letztere dürften aber begierig sein zu erfahren, warum ihr ehemaliger Minister bewusst die »innere Seite« des Außenhandels der DDR in seinen Erinnerungen ausblendet. Ebenso werden sie Aussagen über die Qualität der intrasystemaren Wirtschaftsbeziehungen im RGW vermissen, desgleichen über die Handelsbeziehungen zu den Entwicklungsländern, zur Bundesrepublik Deutschland und zu den anderen Ländern der westlichen Welt, abgesehen von jenen in das Buch einbezogenen Ländern, für die der Verfasser schon als Staatssekretär zuständig war.

Gerhard Beil konzentriert sich auf die Beschreibung der mit diesen geschlossenen Handelsverträge, auf das Prozedere bzw. die Rituale während der Leipziger Messen und anlässlich von Staatsbesuchen, die eher ermüdend denn historisch erhellend sind. Wissenswert und der Wahrheitsfindung dienlich ist dagegen die zusammenfassende Aufstellung der Anlagenimporte der DDR in den letzten Jahren, die der formelhaften Bewertung der DDR-Volkswirtschaft als ausnahmslos »marode« widerspricht.

An einzelnen Stellen des Buches lässt der Verfasser sogar anklingen, dass er nicht allein der historischen Ausgangssituation und dem Kalten Krieg den schließlichen Untergang der DDR anlastet, seine Erkenntnissen über die dem Sozialismus immanenten »Schwächen und Defizite« teilt er jedoch nicht mit. Dem kundigen Lesern fällt dazu jedoch einiges ein. Da wäre etwa die in allen Stadien der Gesellschaftsentwicklung beibehaltene grundsätzliche Trennung der Produzenten vom Weltmarkt und deren mangelnde Konfrontation mit dessen Wertkategorien zu nennen. Oder die Produktions- und Wissenschaftszusammenarbeit im RGW, die tatsächlich, von einigen Ausnahmen abgesehen, eher zu einem gleichmäßig niedrigen wissenschaftlich-technischen Niveau als zu dem durch das Komplexprogramm der Sozialistischen Ökonomischen Integration (SÖI) angestrebten Weltniveau führte. Kein Wort finden die geneigten Leser zu der Tatsache, dass in der späten DDR – im Widerspruch zur eigenen Staatsrechtsordnung – grundlegende Beschlüsse zum Außenhandel durch Kommissionen des Politbüros vorgegeben wurden.

Abschließend schreibt Gerhard Beil: »Aber wohin sich eine Gesellschaft entwickelt, wenn sie keine Visionen hat, erleben wir gegenwärtig. Wenn der Sachzwang regiert, bleibt den Regierenden nur noch das Krisenmanagement.« Die wäre auch für die DDR zu konstatieren. Wer den Anspruch verfolgt, die Deutungshoheit für die Geschichte der DDR nicht aus der Hand zu geben, muss sich auch unbequemen Wahrheiten stellen. Es bleibt somit zu bedauern, dass hier eine Chance nur halb genutzt wurde. Vom Verlag Edition Ost hätten man sich übrigens eine sorgfältigere Redaktion dieses Erinnerungsbuches, des nun leider letzten Zeugnisses von Gerhard Beil, gewünscht.

Gerhard Beil: Außenhandel und Politik. Ein Minister erinnert sich. Verlag Edition Ost, Berlin 2010. 287 S., geb., 19,90 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.