Heißer Abschied aus Kuwait

Zu Hause war die DDR schon fast Geschichte, da wurde sie im Wüstensand Kuwaits noch einmal staatstragend

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 6 Min.
ZEITungs-Schau 1990 – Heißer Abschied aus Kuwait

Die ND-Schlagzeile über der Meldung vom 3. September 1990 atmet Dramatik und erinnert an Kalten Krieg. Auch in der Betrachtung mit 20 Jahren Abstand erscheint die Darstellung jener Ereignisse nicht übertrieben. Trotzdem wären sie wahrscheinlich längst vergessen, wenn sie nicht mit zwei Staaten verbunden gewesen wären, denen es an die Existenz ging.

Der eine davon – das Emirat Kuwait – war einen Monat zuvor vom Nachbarstaat Irak binnen 24 Stunden überfallen, aufgerollt und als Provinz angegliedert worden. Der andere Staat – die DDR – hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits selbst aufgegeben. Das Datum des Anschlusses an die BRD stand fest und damit auch das Ende der DDR-Botschaften.

Mit Kuwait unterhielt die DDR volle diplomatische Beziehungen. In Kuwait-Stadt saß ein Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter, der – das sichere Ende seiner Mission vor Augen – bereits die Auflösung der Vertretung eingeleitet hatte, als unversehens die irakische Aggression hereinbrach.

Damit hätte alles noch schneller gehen können. Aber das Gegenteil trat ein. Jener DDR-Botschafter, Dr. Kurt Merkel, erhielt aus Berlin die unmissverständliche Order, die Stellung zu halten. Die Botschaft sei abzuwickeln, aber aus Solidarität mit den EG-Staaten, die sich der Annexion Kuwaits widersetzten, sei in der Botschaft eine Präsenz aufrechtzuerhalten. Das könne durch den Geschäftsträger geschehen. »Ich sollte bei Verlassen der Botschaft den Geschäftsträger einsetzen, aber das lehnte ich ab«, sagt Kurt Merkel heute. »Der Mann hatte drei Kinder. Ich beschloss also, die letzten verbliebenen DDR-Bürger zur Abreise nach Irak zu schicken und mit meiner Frau allein zurückbleiben. Das teilte ich denen zu Hause mit.«

Doch die Dienststelle »zu Hause« – was war das eigentlich inzwischen? So wie die DDR befand sich auch das für Merkel zuständige Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR in Abwicklung, wobei der Stil, wenn denn dies Wort überhaupt angebracht ist, noch um einiges rigider gewesen sein soll als in anderen Häusern. Der vorletzte DDR-Außenminister, der ehemalige Pfarrer Markus Meckel (zum Zeitpunkt der September-Ereignisse war er nicht mehr im Amt, weil seine Partei, die SPD, aus der Koalition ausgetreten war), hatte seinen Bruder als Personalchef eingesetzt, und beide ließen zusammen mit den eingeflogenen »Beratern« aus dem Auswärtigen Amt der BRD – so berichten es Betroffene – wenig christliche Nächstenliebe gegenüber den DDR-Diplomaten walten. Nun galten die Vertreter des Diplomatischen Korps (neben der Generalität und den Richtern) seit jeher als eine jener drei Standesgruppen im Bonner Staat, die selbst im Tunnel noch einen tiefschwarzen Schatten werfen. In Ostberlin ließen sie diesbezüglich nichts anbrennen.

Eine der praktischen Folgen abwicklerischen Wütens war, dass die Chefetage des Hauses ihre Kommunikation mit den verbliebenen DDR-Mitarbeitern weitgehend eingestellt hatte. Von letzteren erhielt Botschafter Merkel das, was er an Informationen dringend benötigte. Die Befehle aber kamen völlig unabhängig davon wohl bereits von den Externen, und die lauteten: Ausharren.

Die Einverleibung Kuwaits durch die irakische Regierung unter Saddam Hussein wurde – da gab es auch keine Meinungsverschiedenheiten im Hause – als völkerrechtswidrig eingestuft. Deshalb sollte der irakischen Aufforderung an alle Diplomaten, das Land zu verlassen, weil es den Staat Kuwait nicht mehr gebe, nicht Folge geleistet werden. »Ich blieb also mit meiner Frau«, sagt Kurt Merkel heute. »Fast alle DDR-Bürger in der Botschaft, auch die Trainer und Spezialisten im Lande, hatte ich sicher rausgebracht und harrte nun der Dinge. Schließlich hatten wir ein weitläufiges Botschaftsgelände und ausreichend Vorräte an Lebensmitteln und Wasser.« Inzwischen hatten andere Vertretungen, auch die der BRD, bei Merkel angefragt, ob er Bürger ihrer Länder aufnehmen könne. »Ich sagte zu, und so beherbergte ich auf dem Gelände der Botschaft der DDR kurz vor deren Ende auch noch 20 bis 30 BRD-Bürger.«

Aber die Iraker drängten immer stärker auf Räumung. »Direkt gegenüber der DDR-Botschaft hatten sie in einem Gästepalast des Emirs eine militärische Kommandozentrale eingerichtet, und so gefiel ihnen unsere Präsenz immer weniger. Ich hatte viele Gespräche, zum Teil in freundlicher Atmosphäre, mit Diplomaten, die ich von früher gut kannte, aber am Ende stand die immer ultimativere Forderung: Die Leute müssen raus. Dagegen blieb Berlin bei seinem Verlangen, die Stellung zu halten. Damit war ein sicherer Abzug der Leute nicht mehr möglich, denn die Iraker hatten meine Ausreise zur Bedingung für die Garantie der sicheren Ausreise meiner Gäste gemacht.«

Schon am nächsten Tag, erinnert sich Merkel, machten die Iraker ihre Drohung wahr, Strom und Wasser abzuschalten. »Bei Temperaturen bis zu 50 Grad konnten wir also nicht länger bleiben. Die Klimaanlagen arbeiteten nicht mehr, die Kühlschränke tauten ab. Die Leute auf dem Botschaftsgelände gingen in ihre Hotels zurück, wo die Männer festgesetzt wurden. Andere machten sich auf nach Bagdad.«

Botschafter Merkel blieb mit seiner Frau allein zurück. Hatten sie keine Angst? »Es war mehr Unsicherheit. Wir schliefen auf dem Dach unserer Residenz. Es gab auch mal Schießereien. Auf jeden Fall konnte ich noch telefonieren, zum Beispiel mit meinem Kollegen in der BRD-Botschaft, was die Grundlage der Meldungen der Nachrichtenagenturen über unsere Lage war.«

Schließlich mussten die Merkels aber doch raus. »Noch einmal durften wir zurück zur Botschaft, um dort zu übernachten, wenn wir zusicherten, am nächsten Morgen das Land zu verlassen. Das Versprechen nahm man mir per Handschlag ab. Tatsächlich ging es am nächsten Morgen mit militärischer Eskorte bis zur irakischen Grenze. Das war die erzwungene Ausreise. Wir sind dann die 800 Kilometer gleich durchgefahren bis Bagdad.«

Es dauerte noch einige Wochen, bis alle Deutschen, die auf Bagdad und Umgebung verteilt worden waren, endlich ausreisen durften. Saddam Hussein rechnete trotz seiner zur Schau getragenen Siegesgewissheit sehr wohl damit, dass die Angelegenheit Kuwait nicht beendet ist und mit Krieg zu rechnen war. Und die europäischen Ausländer waren für diesen Fall wohl als Geiseln oder menschliche Schutzschilde vorgesehen. »Am Ende, es hatte bis November gedauert, blieb es Willy Brandt vorbehalten, uns wie viele andere aus Bagdad herauszuholen.«

Der SPD-Politiker hatte keine Regierungsfunktion und war daher nicht zum Boykott der irakischen Regierung angehalten wie andere Vertreter westlicher Staaten. Sein hohes Ansehen in der Dritten Welt ließ ihn auch in Irak erfolgreich sein. Er geleitete alle deutschen Geiseln per Flugzeug sicher nach Hause. Auch Merkel. Brandt hatte darauf bestanden, nicht ohne den DDR-Botschafter zu fliegen, den die Iraker unter der Hand wieder von der Liste gestrichen hatten.

Brandt sprach Merkel öffentlich seinen Dank aus, teilte ihm später auch mit, dass er sich bei Außenminister Hans-Dietrich Genscher für eine Weiterbeschäftigung im diplomatischen Dienst einsetzen werde. Daraus wurde nichts. Es soll eine interne Anordnung gegeben haben, keine DDR-Diplomaten ins Auswärtige Amt zu übernehmen. Offiziell bestätigt wurde dies nie. Fest steht nur, dass lediglich einige wenige unteren Ranges übernommen wurden.

Kurt Merkel heute in seiner Berliner Wohnung. Der promovierte Germanist und Philologe (Jahrgang 1934) war vor seinen Berufungen zum DDR-Botschafter in Zypern, auf den Philippinen und zuletzt in Kuwait unter anderem Leiter der Deutschen Abteilung der Philologischen Fakultät der Universität Jakarta. Das Foto unten zeigt ihn bei seiner Akkreditierung in Kuwait. Fotos: Uli Winkler; privat
Kurt Merkel heute in seiner Berliner Wohnung. Der promovierte Germanist und Philologe (Jahrgang 1934) war vor seinen Berufungen zum DDR-Botschafter in Zypern, auf den Philippinen und zuletzt in Kuwait unter anderem Leiter der Deutschen Abteilung der Philologischen Fakultät der Universität Jakarta. Das Foto unten zeigt ihn bei seiner Akkreditierung in Kuwait. Fotos: Uli Winkler; privat
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