Im Unruhestand
Zum 75. Geburtstag von Dieter Hallervorden
ND: Herr Hallervorden, wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken – ist Ihnen »Nonstop Nonsens«, mit dem Sie 1975 den Durchbruch geschafft haben, peinlich?
Hallervorden: Überhaupt nicht. Allerdings wollte ich das nie bis ans Lebensende machen. Umso schwerer fiel es, wieder aus der Schublade zu kriechen; alle wollten Didi, Palim Palim, den gespielten Witz. Deshalb sagte ich mir irgendwann, du nimmst eine Auszeit und zwingst alle, die dich sehen wollen, mit aus der Schachtel zu steigen. So habe ich zurück zum politischen Kabarett gefunden.
So leicht lässt das Publikum doch keinen aus der Schublade …
Stimmt. Vielerorts akzeptiert es Imagewechsel leichter. Der Komiker Jack Lemmon zum Beispiel durfte in »Missing« verzweifelt seinen vermissten Sohn suchen. Und Leonard Bernstein konnte »Westside Story« machen, blieb aber der Maestro. Stellen Sie sich vor, Karajan hätte ein Musical kreiert; Vielseitigkeit ist in Deutschland nicht gefragt.
Dabei begann Ihre Karriere ja ernst – im Fermsehen mit »Millionenspiel«, in dem Sie einen Auftragsmörder spielen, im Theater mit den »Wühlmäusen«. Wie kam es zum Klamauk?
Wir wollten einfach mal ein Nonsens-Programm machen, wo man ohne Rücksicht auf Fakten und Standpunkte als Komödiant auf der Bühne steht. Es war nur so erfolgreich, dass das Fernsehen aufmerksam wurde. So rutscht man hinein. Aber ich war ja froh über die Erholung von der Politik – ohne schlechtes Gewissen, am Tag nicht fünf Zeitungen gelesen zu haben und konnte über Monate einfach vom Blatt spielen.
Klamauk ist leichter als Kabarett?
Natürlich. Von zwei Paar Schuhen ist Comedy das leichtere, weil Kabarett unablässiges Aufnehmen von Nachrichten verlangt, immer am Puls der Zeit zu sein, ständige Aktualisierung.
Kann sich Kabarett deshalb so schwer gegen Comedy behaupten?
Ja, weil die privaten TV-Sender so massiv auf Comedy setzen. Und da subtilere Dinge keine Quote garantieren, orientieren sich schon Berufseinsteiger daran, wo sie mal Geld verdienen. Beim Kleinkunstfestival der »Wühlmäuse« ist es schwer, unter den Neulingen auch nur einen zu finden, der es im politischen Bereich macht. Alle anderen orientieren sich am Standup und sondern einfach Witze ab.
Aus Mangel an Arbeitgebern?
Schon, aber immerhin hat das ZDF mit »Die Anstalt« wieder Kabarett. Und live ist alles von Richling bis Schramm immer ausverkauft. Aber es gibt auch begabte Comedians. Anke Engelke ist toll oder der Erfindungsreichtum von Cordula Stratmann. Aber manchmal schüttle ich auch nur den Kopf und sage, wenn man jeden, der zehn komische Witze kennt und acht komische Grimassen vor die Kamera lässt, ist das nicht komödiantisch. Bühne ist Rede und Gegenrede, Zusammenspiel. Viele aber haben keine Ahnung von Spannungsfeldern, sie können nicht zuhören, keine Pausen setzen. Ergo: Die könnten kein satirisches Kabarett.
Könnten Sie denn Comedy?
Klar, mache ich ja. Es ist die einfachste Art. Trotzdem bringt es mit Kollegen mehr Spaß.
Ist die Krise eher eine Zeit des Ulks oder des Kabaretts?
Die Krise ist doch ein gefundenes Fressen fürs Kabarett. Man kommt gar nicht so schnell hinterher, wie einem die Beamten Pointen liefern. Zum Teil ja schwer zu übertreffen.
Komisch, dass es dennoch nicht so recht in die Gänge kommt.
Weil das Fernsehen es nicht unterstützt, das ist der Hauptgrund.
Kann Humor gesellschaftlich etwas bewegen oder nur kommentieren?
Von der Bühne aus kann man Denkanstöße geben, aber Revolutionen sind nie von ihr ausgegangen. Außerdem muss man sich im Klaren sein, wie einfach es ist, aus der satirischen Ecke zu kritisieren; besser machen ist schwieriger, aber Niedermachen bereitet mehr Spaß. Es gibt keine übergeordneten Niveauvorstellungen, außer der, dass sich die Sender zu mindestens 30 Prozent unter der Gürtellinie bedienen.
Wo ist Ihre Grenze, etwa da, wo Spaß verletzend wird?
Da nicht. Als ich mal einen Schwulen gespielt habe, hieß es, ich mache mich auf Kosten einer Minderheit lustig. Gerade Schwule aber fragten immer wieder nach, wann machste det wieder? Auch Behinderte raten mir von Berührungsängsten ab. Aber ich habe meine inneren Geschmacksgrenzen nie unterschritten und einige Themen entziehen sich grundsätzlich komischer Darstellung, Kindesmisshandlung etwa. Nur: die Privaten sind alle unterm Motto Tabubruch angetreten, siehe »Dschungelcamp«. Da kommt noch einiges auf uns zu, für das ich vielleicht zu alt bin.
Dabei sind Sie ein Spätentwickler.
Generell, ja. Als andere ihre Karriere schon hinter sich hatten, bin ich erst zum Beruf gekommen.
Und wann kommt der nächste Schritt?
Noch hab ich ja einen Fitnesstrainer: meinen jüngsten Sohn. Dazu Gärtnern, Segeln, Surfen. Aber mein Beruf ist aus einem Hobby heraus entstanden, deshalb hab ich in meinem Alter das Berliner Schlossparktheater mit so viel Mühe wiedereröffnet. Mein Ruhestand ist ein Unruhestand.
Am Samstag zeigt die ARD in »Der Überflieger« ein Porträt Hallervordens (22.45 Uhr). SuperRTL feiert ihn am Sonntag mit drei Filmen (ab 20.15 Uhr).
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