Atomdeal mit Haken und Ösen
Empörung über Geheimvertrag / Geprellte Stadtwerke erwägen Klage
Berlin (dpa/ND). Die Betreiber der Stadtwerke drohen wegen der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke, Investitionen in Ökoenergien zurückzustellen. Der Verbandspräsident der kommunalen Unternehmen, Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil (SPD), sagte der dpa: »Wir wissen, dass die Stadtwerke Investitionen in Höhe von mehr als zwölf Milliarden Euro planen oder im Genehmigungsverfahren haben. Und viele dieser vielen hundert einzelnen Projekte werden jetzt sicherlich erneut infrage gestellt werden oder auf den Prüfstand kommen.« Weils Verband vertritt rund 800 Stadtwerke. Kommunale Versorger würden »eventuell Verfassungsklage einreichen«, sagte der Chef der Passauer Stadtwerke, Gottfried Weindler.
Auch die Windkraftbranche sieht angesichts längerer Atomlaufzeiten ihre Wachstumsziele gefährdet. Die Regierung setze vor allem auf eine Förderung der Windkraft auf See, sagte der Präsident des Bundesverbandes Windenergie, Hermann Albers. Damit gebe sie einen Teil ihrer Atomeinnahmen an die großen Konzerne zurück – denn sie sind es, die Offshoreprojekte auf See planen.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) verteidigte sich gegen die Kritik. »Es hat noch nie einen Umweltminister gegeben, der Vergleichbares in einer Regierung durchgesetzt hat«, sagte er dem Deutschlandfunk. Eine Sprecherin Röttgens erklärte, der Atomkompromiss solle mit zwei Novellen des Atomgesetzes umgesetzt werden, die nicht der Zustimmung der Länderkammer bedürften. Eine Folge könnte womöglich sein, dass die geplante Laufzeitverlängerung zunächst ohne die ebenfalls vorgesehenen neuen Sicherheitsauflagen durchgesetzt wird. Die Grünen kündigten einen »Gegenentwurf« zum Atombeschluss der Regierung an. Ihre Partei werde zu ihrer Herbstklausur ein Konzept vorlegen, das zeige, wie in Deutschland bis 2050 eine nur auf erneuerbaren Energien basierende Versorgung möglich sei, sagte Fraktionschefin Renate Künast.
Die Nichtregierungsorganisation LobbyControl fordert die Offenlegung des Geheimvertrags zwischen der Bundesregierung und den Energiekonzernen über die längeren Atomlaufzeiten. Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Konzerne bereits am Montagmorgen um 5:23 Uhr und damit wenige Stunden nach der Einigung im Kanzleramt eine Vereinbarung mit der Bundesregierung unterzeichnet hätten. »Diese Art von Nacht- und Nebelpolitik ist ein Skandal«, kritisierte der Geschäftsführer von LobbyControl, Ulrich Müller, in Köln. Die Bundesregierung habe verschwiegen, dass bereits eine Vereinbarung unterzeichnet worden sei. Während des Gipfels hatten die Spitzen der Koalition zugleich mit den Chefs der Energiekonzerne über den Atomdeal beraten. »Die Bundesregierung muss erklären, welchen direkten Zugang die Energiekonzerne zu den Verhandlungen hatten«, so Müller. Diese Art von einseitigem Zugang für vier große Konzerne sei inakzeptabel. Hier würden sich Unternehmen über ihre politische Macht ökonomische Vorteile verschaffen.
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