Blut, unsichtbar

Puccinis »Turandot« in Dessau

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 3 Min.
J. Derilova
J. Derilova

T urandot's Riddle Club« ist eine einzige große Show. Die ganz Schönen und fast ganz Reichen sind dort unter sich. Underdogs, die vor den Toren lungern, werden nicht mit dem Baseballschläger abgewehrt, sondern mit edlem Golfgerät. Die Rätsel sind auch nicht der eigentliche Kick. Man gefällt sich im Ekel-Dandytum, spielt mit abgeschlagenen Köpfen Fußball und lässt sich auch mal gern in Schönheit erdolchen.

Blondmähnig wie Marilyn, sportiv wie Madonna, im schwarzen Glitzerkleid unter samtenem Henkersmantel, hantiert die Königin des Clubs mit ihrem Dolch. Flecken macht das alles nicht auf den von Christian Wiehle erdachten arenaförmigen Showtheater-Rängen oder den schicken weißen Kostümen. Man tut ja nur so. Oder hat Regisseurin Andrea Moses das Theaterblut aus ästhetischen Gründen der Fantasie der Zuschauer anheimgegeben und es ist doch alles letaler Ernst? Man weiß es nicht. Wer weiß auch schon, wo er aufwacht nach 72 Stunden Party?

Calaf will rein in diesen Club und nicht nur das, er will der Größte werden. Die Sentimentalitäten der plötzlich auftauchenden Reste seiner Familie, Liu und der Vater, stören ihn nur, mit Mühe bliebt er höflich. Was selbst die beinahe netten Zyniker Ping, Pang und Pong und den Rest des Clubs für einen Moment in seiner nie erlebten Gefühlsechtheit rühren kann, Lius opferbereiter Liebestod, lässt ihn kalt.

In dem Punkt versteht er sich mit Turandot. Und er kriegt sie ganz, weil er clever erahnt, dass Turandot in ihm – wie er in ihr – den ebenbürtigen Partner erkennt. Er hat keine Angst vor ihrem an seinem Hals entlangstrichelnden Dolch. Papa Altoum, gehobener Texaslook in Cremeweiß, ist zufrieden. Der makellos singende und noch im kollektiven Rausch individualisiert spielende Chor hat einen neuen Vorturner.

Nichts kann stimmiger sein als diese Inszenierung. Puccinis letzte Oper muss einfach so aussehen, wie sie bei Andrea Moses und Christian Wiehle aussieht, jede pseudo-chinesische Verkleidung wird in Zukunft nur noch albern wirken. Das ganze Stück ist ein Spiel mit abgefeimten Gewaltfantasien, ob in Fernost oder Mittelwest bleibt sich in hermetischen Nächten gleich.

Für die aufpeitschenden schwarzen Klangfantasien sorgt die geradezu unheimlich aufspielende Anhaltische Philharmonie unter Anthony Hermus. Ob er den pseudochinesischen Singsang des wunderbaren Kinderchors zart untermalt, das perfekt singende und spielende Ping-Pang-Pong-Trio an der Grenze zur musikalischen Parodie spazieren führt, den grandiosen Sergej Drobyschewsky beim »Nessun dorma« auf seinem Klangteppich geradezu davonfliegen lässt, Angelina Ruzzafantes sentimental-gefühlvolle Liu-Töne noch inniger klingen lässt oder der lodernd auftrumpfenden Iordanka Derilova in der Titelpartie rasant Feuer gibt, Hermus tut immer das genau Richtige und gleichzeitig das Äußerste.

Diese mit Weimar koproduzierte Inszenierung ist unverkrampft großes und zeitgemäßes Musiktheater und hat in Dessau durchweg erstklassige Protagonisten gefunden. Diesem Haus den Finanzmangel-Strick um den Hals zu legen, würde einen gigantischen Kulturverlust bedeuten.

Auf der Heimfahrt dann, im Autoradio eine kleine Meldung, dass ein dem Doping freundlich zugeneigter Sportbund in Deutschland mit genau den Steuermillionen finanziert wird, die das Theater auf sichere Wege geleiten könnten. Aber man muss die deutsche Geld-Welt nicht verstehen.

Nächste Vorstellung: 3. Oktober

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