Islands Expremier muss vor Gericht

Anklage wegen Verantwortung für Bankenkrise

  • Andreas Knudsen, Kopenhagen
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit 33 gegen 30 Stimmen beschloss Islands Parlament, das Allting, am Montagabend, dass der ehemalige Ministerpräsident Geir Haarde von der konservativen Unabhängigkeitspartei wegen politischer Verantwortung für den Zusammenbruch des nationalen Bankensystems vor das Reichsgericht gestellt wird.

Das Reichsgericht (Landsdomur) wurde 1905 eingerichtet und soll ausschließlich gegen Regierungsmitglieder verhandeln. Der 59-jährige Geir Haarde hat die zweifelhafte Ehre, der erste zu sein, der sich dem Gericht stellen muss. Andere Regierungsmitglieder sollen laut Parlamentsbeschluss nicht angeklagt werden. Eine Sonderkommission, die die Rolle der Minister zu beurteilen hatte, war dagegen Anfang September zu dem Schluss gekommen, alle Minister müssten sich vor dem Reichsgericht verantworten, nicht nur Haarde. Dem wird nun vorgeworfen, seine fahrlässige Amtsführung habe dazu beigetragen, dass die Finanzkrise Island besonders hart getroffen hat.

Da es für das Gericht keine Präzedenzfall gibt, müssen zunächst Verfahrensfragen geklärt werden. Entscheidend wird es sein, Richter und Abgeordnete ohne Verbindungen zu Personen zu finden, die in den Finanzskandal verwickelt waren. Deshalb steht nicht fest, wann die Verhandlung beginnt. Das Gericht kann Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren verhängen.

Der Beschluss des Parlaments beruht auf der Arbeit einer Kommission, die im Frühjahr ein Weißbuch vorlegte und bestürzende Tatsachen ausgrub. Sie bestätigte unter anderem, dass der isländische Bankensektor einen Wertumfang angenommen hatte, der 20 Mal größer war als das Bruttonationalprodukt. Die in den Jahren 2003 bis 2007 privatisierten Banken hatten außerhalb Islands große Kredite aufgenommen und sie an Investmentgesellschaften weitergegeben, die wiederum im Ausland aggressive Aufkäufe tätigten. Dabei wurden Banken und Investmentgesellschaften von den gleichen Leuten geleitet. Mit Ausbruch der Finanzkrise 2008 war es nicht mehr möglich, den Kapitalfluss durch ständig neue Kredite in Gang zu halten. Die Banken kollabierten und mussten vom Staat übernommen werden. Die Folgen für die isländische Wirtschaft waren gewaltig. Der Verbrauch ging 2009 um fast 20 Prozent zurück, die Arbeitslosenrate stieg von zwei auf fast 10 Prozent. In Reykjavik führten wochenlange Proteste dazu, dass Regierungschef Haarde im Januar 2009 zurücktrat. Er wurde von der Sozialdemokratin Johanna Sigurdardottir abgelöst.

Haardes Vorgänger David Oddsson, ehemaliger Chef der Zentralbank, in dessen langer Amtszeit als Ministerpräsident viele Gesetze beschlossen worden waren, die das Agieren der Banken erst ermöglichten, kann nicht belangt werden, da das Parlament nur Anklagen wegen Verfehlungen erheben kann, die nicht länger als drei Jahre zurückliegen. Die Staatsanwaltschaft prüft jedoch weiterhin strafrechtliche Konsequenzen für die verantwortlichen Banker.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -