Vom Traumland bis Bayern
Pham Thi Doan Thanh hatte Angst, als in Berlin die Mauer fiel und die deutsche Einheit angepeilt wurde. Die Vietnamesin war erst im Juni 1989 in das sächsische Zittau als Vertragsarbeiterin gekommen. Ein Leben in der DDR war ihr Traum gewesen.
Die heute 60-jährige Kunstmalerin hatte in Hanoi eine Spezialschule für künstlerisch begabte Kinder besucht. Die Schulbildung wurde immer wieder unterbrochen, weil sie kriegsbedingt für Versorgungsarbeiten der Soldaten eingeteilt wurde. Nach der Ausbildung arbeitete sie als Layouterin bei Zeitungen sowie als Kunstmalerin. 1976 und 1980 wurden ihre Bilder in Berlin ausgestellt, selbst in die DDR reisen konnte sie nicht. Doch die DDR erschien ihr als Traumland. »Die Leute waren fleißig, freundlich und sie tranken wenig Alkohol.« Eine Möglichkeit, dorthin zu ziehen, fand sie erst nach ihrer Ehescheidung. Sie wurde Vertragsarbeiterin. »Ich wollte nach Feierabend malen. Die nötigen Kontakte in die sächsische Künstlerszene hatte ich bereits«, erinnert sich Pham Thi Doan Thanh.
Im stürmischen Wendejahr schwante ihr, dass vieles anders werden würde. Ihr Textilwerk entließ 1990 alle ausländischen Arbeitskräfte. Die meisten kehrten mit 3000 Mark Abfindung nach Vietnam zurück. Doch Pham Thi Doan Thanh ließ sich nicht unterkriegen und eröffnete in Zittau eine Asiengalerie, wo sie Bilder verkaufte. Damit konnte sie sich finanziell über Wasser halten.
Später als DDR-Bürger durfte sie den Westen besuchen, denn vietnamesischen Vertragsarbeitern war das erst mit der Währungsunion im Juli 1990 erlaubt. Der erste Eindruck der Malerin war ein optischer: Die vielen Grafitti. Die empfand sie als »Verschmutzung«. Ihr zweiter Eindruck: In den Asialäden konnte sie Gemüsesorten und Gewürze kaufen, die sie seit Monaten nicht mehr gegessen hatte.
1992 holte sie ihren jüngeren, damals 11-jährigen Sohn aus Vietnam zu sich und zog dem Sohn zuliebe nach Bayern. »Dort waren die Schulen für Ausländer besser.« Sie hatte gehofft, dass sich mit dem Umzug in den reichen Westen ihre wirtschaftliche Situation bessern würde. Doch das Gegenteil war der Fall: »Die Menschen hier interessierten sich kaum für Bilder.« Und der Zugang zur westdeutschen Künstlerszene musste erst aufgebaut werden. Es folgten Jahre, in denen sie abwechselnd Jobs annahm, um sich und den Sohn zu ernähren und dann wieder malte.
Mit der Heirat mit einem in Nürnberg lebenden Österreicher änderte sich ihr Leben. Kennengelernt hat sie ihren heutigen Mann übrigens an einem 3. Oktober: 1997. Sie lebt heute als Kunstmalerin in Erlangen. Ihre Porträts und Landschaftsbilder sind von ihrer vietnamesischen Herkunft geprägt.
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