Schürfwunden und Karibikbräune
Berliner Familienunternehmen ist Marktführer für Kunstblut und Theaterschminke
Mit Schnitt- und Schürfwunden, Verbrennungen oder Narben kennt sich Wolfram Langer bestens aus. Als Geschäftsführer und Juniorchef leitet er ein Familienunternehmen, das weltweit führender Hersteller für Kunstblut und Theaterschminke ist.
Produziert wird in Berlin-Wedding. Während im Hof der Firma Kryolan mehrere Arbeiter Pappkisten für den Versand stapeln, wird im Inneren des Gebäudes zusammengemixt, was Maskenbildner für ihre tagtägliche Arbeit brauchen: Puder oder Lippenstift, Lidschatten oder Wimperntusche. In der Produktionshalle laufen die Walzen auf Hochtouren, walken grüne, blaue und rote Pasten. An Wänden und in Durchgängen stapeln sich Kanister, Dosen und Eimer. Eiter steht auf einer der Dosen in einem abgedunkelten Nebenraum, Nasenschleim auf der anderen. Daneben ein zehn-Liter-Eimer mit »Filmblut hell«.
Angefangen hat alles vor mehr als 65 Jahren. Langers Vater, ein begeisterter Theatergänger und Chemiker, fing wenige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg an, Kosmetikprodukte herzustellen: Zunächst bringt er Zahnpasta, Gesichtswasser und Hautcremes auf den Markt. Als im besetzten Berlin die ersten Theater wieder öffnen, steigt er auf Theaterschminke um. Ein Lebenswerk – bis heute ist der inzwischen 89-jährige Arnold Langer an vier Tagen in der Woche in dem Betrieb anzutreffen.
Seit den Anfangsjahren ist das Unternehmen gewachsen. Weltweit hat Kryolan heute 240 Mitarbeiter sowie Tochterfirmen in Indien, Polen, den USA und Großbritannien. Allein 7000 Liter Theaterblut produzieren seine Mitarbeiter inzwischen im Durchschnitt jährlich, schätzt der Juniorchef. Etwa 30 Sorten Blut hat er im Angebot: Blutkapseln, in Pulverform oder als Blutkissen, in Tuben oder Fläschchen, leicht auswaschbar, schnell krustend, dickflüssig oder tropfend. Jeweils zusammengemischt aus Wasser, Glycerin, Gelatine und roten Farbpigmenten.
In den 70er Jahren war Peter Stein der erste, der für sein »Antikenprojekt« an der Berliner Schaubühne größere Mengen Theaterblut pro Abend geordert hatte. In den Folgejahrzehnten steigerte sich der Einsatz künstlicher Körperflüssigkeiten an den deutschen Theatern, was 2005 mit der skandalumwitterten Macbeth-Inszenierung von Jürgen Gosch unter Theaterkritikern eine Debatte um sogenanntes »Ekeltheater« auslöste. Viel künstliches Blut, Kot und Urin war damals in Düsseldorf im Spiel. Zuletzt flossen in Marius von Mayenburgs Nibelungen-Inszenierung an der Berliner Schaubühne Abend für Abend etwa 800 Liter Blut die Treppenstufen auf der Bühne hinunter. Eine wahre Blutorgie, als Sonderanfertigung geschaffen im Labor der Weddinger Firma.
Und doch ist Theaterblut nur ein Teil des Geschäfts: »Wir sind die, die den Maskenbildnern ein Werkzeug zur Hand geben«, sagt der 59-jährige Langer. Von Hollywood bis Bollywood, von der Scala in Mailand bis zur Metropolitan Opera in New York. Für Filme wie »Fluch der Karibik« oder »Die Päpstin« hat sein Unternehmen das Make-Up entwickelt. Hat karibische Sonnenbräune zusammengemischt sowie Schminke für Hautanomalien und Verletzungen entwickelt.
Die Kunden des Berliner Kunstblutherstellers sind mittlerweile jedoch längst jenseits der Theaterbühnen und Filmsets zu finden: So bestellt das Militär bei Langer Tarnfarbe. Hautärzte, Apotheken oder Kliniken beliefert das Familienunternehmen mit Abdeckschminke zur Verwendung von Hautverbrennungen oder Aknenarben.
Aber auch die lila Milka-Kuh ist mit Farben aus Berlin angemalt, ebenso wie die Darsteller der Blue Man Group.
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