Geschichtsunterricht
»Daphne« an der Semperoper Dresden
Als der Einakter »Daphne« von Richard Strauss 1938 an der Semperoper uraufgeführt wurde, dauerte es kein Jahr mehr bis zum Kriegsausbruch. Die Nazis hatten Oberwasser, Strauss war sein Amt als Präsident der »Reichsmusikkammer« wieder los. Er hatte sein bajuwarisches Mundwerk nicht gezügelt und zudem bei der Uraufführung seiner »Schweigsamen Frau« auf der Erwähnung seines zweiten kongenialen Librettisten nach Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, bestanden. Für »Daphne« stand der jüdische Dichter nicht mehr zur Verfügung, weil er 1934 ins Exil gegangen war. Dies kam für Richard Strauss zwar nicht in Frage, aber an den Hals warf er sich den Nazis auch nicht.
In »Daphne« ist Apollo der Mann der Stunde, der sich erst einschleicht, verführt, die Sonne aufgehen und es donnern lassen kann, um dann seine Maske fallen zu lassen. Er ist einer, der Menschen, wie Daphne, blendet und vereinnahmt. Und er ist einer, der andere, wie Leukippos, die ihm Widerstand entgegensetzten, ohne Skrupel beseitigt. Das Auftauchen eines solchen Messias, der sich mit der Aura des Gottes umgibt, aber diejenigen, die sich von seinem (faulen) Zauber vereinnahmen lassen, ins Verderben führt, kann man politisch auf das Nazireich beziehen.
Das hat Regisseur Torsten Fischer an der Semperoper in Dresden überdeutlich herausgestellt. Er treibt seinen szenischen Geschichtsunterricht aber noch weiter, indem er aus Daphne eine Sophie-Scholl-Figur macht. Anfangs wird ein Brief der mutigen Studentin eingeblendet, dann kommt der berühmte Wurf der Flugblätter.
Dass die vom Vater initiierte Feier nicht gut enden kann, wird klar, sobald man die streng gescheitelten blonden Jungs bemerkt, die sich alsbald als bewaffnete, schwarz uniformierte Hilfstruppe des Apollo erweisen. Diese Metaphorik steigert und verselbständigt sich. Nach und nach zwingen die Bewaffneten den gesamten Chor, seine Kleider abzulegen und eine große Freitreppe hinaufzusteigen. In einem Riesenspiegel sieht man dann, wie sich einer nach dem anderen wie tot auf dem Boden ausstreckt ...
Musikalisch war diese erste »Daphne« in Dresden nach über 50 (!) Jahren vor allem ein Orchesterereignis – was wunder: Die Sächsische Staatskapelle ist das deutsche Strauss-Orchester schlechthin. Für den jungen israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber die denkbar günstigste Voraussetzung, die er denn auch überzeugend, wenngleich vielleicht eine Spur zu forsch, nutzte.
Ebenso zur besonderen Dresdner Strauss-Kompetenz gehören der exzellente Chor und so überzeugende Sänger-Darsteller wie Georg Zeppenfeld als Daphnes Vater Paneios und Christa Mayer als deren Mutter Gaea. Camilla Nylund ist eine solide Daphne. In der Oper unterliegt zwar der Leukippos dem Apollo, doch vermochte an diesem Abend Ladislav Elgr seinen Tenorkollegen Robert Dean Smith deutlich zu überstrahlen.
Nächste Vorstellung: 14. 10.
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