Wer kontrolliert die Institution mit Gewaltmonopol?
Fachkonferenz »Polizei und Menschenrechte« – Amnesty International will bessere Aufklärung von Misshandlungsfällen
Im Dessauer Polizeigewahrsam geschieht am 7. Januar 2005 schier Unmögliches. Die feuerfeste Matratze eines an Händen und Füßen gefesselten, stark angetrunkenen Mannes, der zuvor auf gefährliche Gegenstände abgesucht wurde, fängt Feuer. Trotz Gegensprechanlage und Feuermelder reagieren die diensthabenden Polizisten erst, als es zu spät ist. Oury Jalloh aus Sierra Leone stirbt.
Allein aus Sachsen-Anhalt wurden in der Vergangenheit mehrere Fälle bekannt, bei denen Polizisten, gelinde ausgedrückt, Fehlverhalten unterstellt wurde. Überall in der Republik wird Beamten bei Demonstrationen, Kontrollen und Festnahmen häufig eine unangemessene Anwendung von Gewalt vorgeworfen. So ermittelte die Staatsanwaltschaft im Jahr 2009 knapp 3000 Mal wegen Misshandlungsvorwürfen. Allerdings kommt es nur selten zu Anklagen gegen Polizisten. Eine Anfrage der LINKEN in Hamburg ergab im Frühling, dass in den Jahren 2003 bis 2008 über 98 Prozent der dortigen Fälle während der Ermittlungen eingestellt oder wegen »Geringfügigkeit« nicht weiter verfolgt wurden.
»Die Straflosigkeit von BeamtInnen ist eines der zentralen menschenrechtlichen Probleme in Europa«, schreibt Amnesty in einem Positionspapier. Mit der Fachkonferenz »Polizei und Menschenrechte« am Montag in der Berliner Landesvertretung von Sachsen-Anhalt setzte die Menschenrechtsorganisation ihre Kampagne für eine bessere Aufklärung von Misshandlungsfällen durch Polizisten fort. Wie brisant das Thema ist, zeigte sich schon daran, dass die Referate und Diskussionsbeiträge der versammelten Vertreter von Polizei und Menschenrechtsorganisationen, aus Wissenschaft und Politik nicht zitiert werden durften – um eine offene Diskussion zu ermöglichen, wie es hieß.
»Die Grenzen zwischen rechtmäßigem polizeilichem Gewaltgebrauch und Gewaltmissbrauch sind oft fließend«, lautet eine der schriftlich vorgelegten, zitierbaren Schlussfolgerungen von Udo Behrendes, dem Leiter des Leitungsstabs des Polizeipräsidiums in Köln. Dessen Aufgabe war es, eine Polizeiinspektion mit rund 350 Beamten neu zu strukturieren. Anlass war die interne Aufarbeitung des Todes von Stephan Neisius im Jahr 2002, den sechs Beamte der Wache Eigelstein misshandelt hatten. »Die Gesellschaft hat das Recht und die Pflicht, diejenige Institution, die in ihrem Auftrag das Gewaltmonopol ausübt, genau zu kontrollieren«, schreibt Behrendes, schlägt aber lediglich die »Einrichtung unabhängiger Schlichtungsinstanzen« für minderschwere Fälle und die Ernennung von »Polizeibeauftragten« vor.
Amnesty verlangt dagegen die individuelle Kennzeichnung von Polizisten durch Name oder Nummer, unabhängige Untersuchungsmechanismen, Videoaufzeichnungen in Polizeistationen und Menschenrechtsbildung für Polizisten.
Vor allem die ersten beiden Punkte stoßen bei den Staatsschützern auf Abwehr. »Es kann nur jemand ermitteln, der das Polizeihandwerk gelernt hat und an Recht und Gesetz gebunden ist«, sagte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, dem »Amnesty Journal« – ungeachtet dessen, dass dadurch bisweilen Polizisten quasi gegen sich selbst ermitteln. Die individuelle Kennzeichnung wird als Gefahr für die Beamten betrachtet, obwohl Kennzahlen ausreichen würden.
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