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Der Kritische
Landolf Scherzer erhält den Walter-Bauer-Preis 2010
Landolf Scherzer lebt im kleinen thüringischen Dorf Dietzhausen. Das Steinhaus hat er selbst gebaut. Wie man das macht, lernte er in Mosambik, wo er 1982 fünf Monate lang in einem Camp am Sambesi arbeitete. Er war überhaupt viel unterwegs, wohl auch auf der Flucht: Recherchen für Reportagen führten ihn unter anderem nach Sibirien und in den sowjetischen Orient, auf einen Fischverarbeitungsdampfer vor Labrador und, 1989, auf »Hoffnungssuche« an die Wolga. Hoffnungssucher ist er geblieben.
1941 in Dresden geboren, studierte er von 1962 bis 1965 an der Fakultät für Journalistik in Leipzig. Noch kurz vor dem Diplom wurde er exmatrikuliert – wegen kritischer Reportagen, die er zusammen mit Klaus Schlesinger und Jean Villain für die Neue Berliner Illustrierte geschrieben hatte. Bewährung in der »autonomen Gebirgsrepublik« als Redakteur der Bezirkszeitung »Freies Wort« Suhl. 1975 begann Scherzer als freier Schriftsteller.
Einer, der glaubte, durch offenes Wort die DDR verändern zu können, lebt von der Hoffnung. Mehr als 100 000 Mal verkaufte sich bis 1989 sein Reportageband »Der Erste«. An der Seite von Hans-Dieter Fritschler, dem 1. SED-Kreissekretär von Bad Salzungen, erkundete er den sozialistischen Alltag und beschrieb ihn. Es musste doch besser gehen! Nach der Wende wurde er, der Kritische, in den SED-Vorstand gewählt, doch schon vier Monate später trat er aus der Partei aus, enttäuscht darüber, dass sie sich in seinen Augen nicht reformierte. Nach dem Sturz Gorbatschows, »Am Grab der Sojus«, starb die Hoffnung.
Scherzer las bei den hunger- streikenden Kalikumpeln in Bischofferode und hungerte selbst für den Erhalt des Philharmonieorchesters in Suhl. Vergebens. Er begleitete den neuen CDU-Landrat Baldus, spürte der Situation der Gastarbeiter in der DDR und ihrem Schicksal in den neuen Ländern nach, zog zu Fuß durch Osteuropa. Gerade ist sein neuer Reportageband »Letzte Helden« erschienen: Scherzer gab in einer Thüringer Tafel Lebensmittel aus, versuchte, nach Tschernobyl vorzudringen, und suchte ehemalige »Helden der Arbeit«. Letzte Helden: Menschen, die sich durchkämpfen. Und die doch hoffen, worauf auch immer.
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