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Der Mann auf dem Familienfoto
Klaus Hänsch über einen Kontinent der Hoffnungen
Wer – ohne langatmige Zitate, Dokumente und Quellenverweise – in angenehm lockerem Plauderton über den meist schwierigen und zähen, manchmal kurios anmutenden Entwicklungsprozess der Europäischen Union sich ein Bild machen möchte, der dürfte mit dieser, sicher nicht uneitlen Lebensbilanz eines Insiders durchaus gut bedient sein.
Der Autor, fast 35 Jahre als sozialdemokratischer Parlamentsabgeordneter, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Mitglied des Präsidiums und dann, Mitte der 90er Jahre für zweieinhalb Jahre EU-Parlamentspräsident, schreibt nicht als Historiker und will auch so nicht verstanden werden. Auch unternimmt er nicht den Versuch, die vielfältigen juristischen und anderen zwischenstaatlichen Komplikationen und Implikationen der wachsenden Zahl von Mitgliedsländern zu interpretieren. Aber man bekommt in seinem Buch sehr wohl eine Ahnung von den gewaltigen Problemen im vereinigten Europa. Die zudem auch noch von den oft eigenwilligen und sich von ihrer jeweiligen Partei häufig nach Brüssel abgeschoben fühlenden Politikern zusätzlich kompliziert werden.
Ausführlich schildert Klaus Hänsch den dornenreichen Weg zu einer Verfassung und hält auch nicht mit seiner Meinung zum Lissaboner Vertrag zurück. Über das zähe Ringen um eine breitere demokratische Verfasstheit der Europäischen Union und eine gewichtigere Rolle des europäischen Parlaments gibt ein vom Autor erinnertes Ereignis illustrativ Auskunft. Seit 1987 darf der jeweilige Parlamentspräsident zwar an Tagungen des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs teilnehmen, allerdings nur die erste halbe Stunde. Hänsch wollte diese Restriktion nicht akzeptieren. Er nutzte seine erste Gelegenheit bei einer Ratssitzung im Dezember 1994 in Essen, um die Anhörung in einen Austausch der Gedanken zu verwandeln. »Statt den üblichen Wunschzettel der ewig gleichen Forderungen des Parlaments vorzutragen, nahm ich zu zwei oder drei Themen des Gipfels politisch Stellung.« Doch damit nicht genug. Er wollte mehr, nicht um seiner selbst willen, sondern zur Bekräftigung der Rolle des Parlaments im europäischen Entscheidungsfindungsprozess.
Hänsch wollte mit auf das »Familienfoto« der Regierungschefs. »Mir war diskret bedeutet worden, dass da für mich kein Platz sei. Ich erkundete Zeitpunkt und Ort des Geschehens und stellte fest, dass die üblichen, auf den Boden geklebten Namensschilder fehlten. Als die Chefs plaudernd und scherzend anrückten, schlängelte ich mich, ehe es die Protokollbeamten gewahr wurden, in die Mitte der zweiten Reihe. Aus der konnte man mich nur schwer wieder herausholen oder auf den Fotos wegschneiden. Als Mitterrand sich umwandte und mir zu meiner Rede vom Vormittag gratulierte, traute sich wohl niemand mehr, mich von meinem Platz wegzumobben.« Wenn so viel Courage keine Hoffnung macht, was dann?
Klaus Hänsch: Kontinent der Hoffnungen. Mein europäisches Leben. J.H.W. Dietz. 272 S., br., 18 €
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