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Eine der besten Welten

Mit Bernd W. Seiler in »Fontanes Berlin«

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 4 Min.

Er stammte aus Neuruppin, kam 1833 als Vierzehnjähriger nach Berlin und verbrachte dort, von längeren Aufenthalten in Sachsen und England abgesehen, zwei Drittel seines Lebens. Die Stadt, anfangs noch im tiefsten Biedermeier, später Regierungszentrum des Kaiserreichs und moderne Metropole, hat ihn immer wieder beeindruckt, manchmal auch geärgert und abgestoßen, aber das Faktum, schrieb er 1860 an seinen Kollegen Paul Heyse, sei doch schließlich nicht wegzuleugnen, »daß das, was hier geschieht und nicht geschieht, direkt eingreift in die großen Weltbegebenheiten. Es ist mir ein großes Bedürfniß geworden, ein solches Schwungrad in nächster Nähe sausen zu hören, auf die Gefahr hin, daß es gelegentlich zu dem bekannten Mühlrad wird«. Er fand sich in der Stadt bald so gut zurecht wie in seiner Westentasche; es wundert nicht, dass von den siebzehn Romanen und Erzählungen, die er schrieb, elf ganz oder teilweise in Berlin spielen.

Die Fontane-Literatur ist ja inzwischen fast unübersehbar. Es gibt, von den unendlich vielen Sekundärschriften abgesehen, Werkausgaben, Biografien, Kataloge, eine Chronik und auch ein vorzügliches Fontane-Lexikon. Man dachte schon, dass eigentlich nichts mehr fehlen könne, aber nun merken wir: Es fehlte doch etwas. Ein Buch wie dieses, üppig bebildert, das uns auf wunderbare Weise die Stadt des Schriftstellers erschließt, verfasst von Bernd W. Seiler, hatten wir noch nicht.

Seiler, kein Berliner, aber ein Berlin-Kenner und Fontane-Liebhaber natürlich auch, führt quer durchs Häusermeer zu all den Orten, die irgendetwas mit Fontane oder seinen Büchern zu tun haben. Das fängt in der Wallstraße 73 an, wo der junge Mann in einer Schülerpension wohnte, geht dann in die Burgstraße, wo er an warmen Sommerabenden gern im Fenster lag und auf die Spree sah. Und so immer weiter von Adresse zu Adresse. Ein Umzug jagte den anderen. Fontane bekam es mit feuchten Wänden zu tun und Ungeziefer, einmal, in der Puttkamer-straße, gleich nach der Geburt seines Sohnes George, musste er wohl oder übel Zimmer vermieten und in bedrückender Enge leben. Die Wanderschaft durch verschiedene Berliner Viertel war erst zu Ende, als endlich in der Potsdamer Straße 134c ein geräumiges Quartier gefunden war, wo man bleiben konnte. Die Fontanes hausten unter dem Dach, sie hatten fünf Zimmer, im größten hat Fontane seinen Schreibtisch aufgestellt und all seine Romane und Erzählungen verfasst.

Das Haus mit der letzten Wohnung existiert heute freilich so wenig wie beinahe alle anderen Unterkünfte des Autors. Drei Apotheken, in denen Fontane gearbeitet hat, und neun seiner Wohnstätten mussten Neubauten weichen, acht weitere sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Erhalten blieb lediglich die Unterkunft in Bethanien, die Fontane 1848 für kurze Zeit bezog. Aber zum Glück gibt es Fotos aus alter Zeit, Stiche, Aquarelle, Zeitungsanzeigen, Ansichtskarten. Die verschaffen dem Buch das historische Kolorit, die starken Eindrücke. Seiler zeigt in Wort und Bild die engen Gassen, die Brücken, Kirchen, Friedhöfe, Plätze und Denkmäler, er zeigt auch, wo Fontane seine Figuren wohnen ließ, Stine und Effi Briest, Mathilde Möhring und Frau Jenny Treibel, die Kapitel werden mit Kartenausschnitten eingeführt, so dass man sich mühelos orientieren kann. Hinzu kommen Aufnahmen, die den heutigen Zustand all der Adressen festhalten. Die Faszination des Bandes ergibt sich nicht zuletzt aus dieser Konfrontation, dem Gegenüber von Einst und Jetzt, an dem sich der Wandel der Stadt ablesen lässt.

Berlin ist »doch wohl eine der besten Welten«, schrieb Fontane in »Irrungen, Wirrungen«. Uneingeschränkt galt das Urteil freilich nicht. Aus der Wohnung in der Potsdamer Straße ist er im Sommer mitunter geflohen, weil der Gestank des Landwehrkanals nicht auszuhalten war. In seinen Büchern hat er Unmutsbekundungen allerdings vermieden. Da stört nichts. Es gibt keinen Straßen-, keinen Baulärm, nichts Halbfertiges wie den Anhalter Bahnhof, den er im Roman schon als vollendet nimmt, üble Gerüche sind genauso tabu. Nur einmal, in »Irrungen, Wirrungen«, schreibt er, wie Käthe von Sellenthin nach einer Kur vom Bahnhof nach Hause fährt und beinahe alles schön findet, was sie sieht. »Nur der Kanal ... Ich weiß nicht, er ist immer noch so ...« Sie spricht den Satz nicht zu Ende. – Fontane-Leser werden an diesem liebevollen Streifzug ihre helle Freude haben. Aber nicht nur sie. Der Band, bestechend durch die Informationsfülle und sein Bildangebot, holt die versunkene Welt eines berühmten Berliners zurück. Und illustriert zugleich, was an ihre Stelle trat.

Bernd W. Seiler: Fontanes Berlin. Die Hauptstadt in seinen Romanen. Verlag für Berlin-Brandenburg. 191 S.,, geb., 24,90 €

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