Wiederbelebung der Sammelklage
EU unternimmt neuen Versuch zum Schutz von Verbrauchern / Fronten weiter verhärtet
Ende Oktober 2009 wollte EU-Kommissarin Neelie Kroes Nägel mit Köpfen machen. Monatelang hatten ihre Mitarbeiter in der Generaldirektion Wettbewerb den Vorschlag für eine Europäische Sammelklage ausgearbeitet. Ein umstrittener Vorschlag, der auf viel Widerstand bei der Industrie stieß. Kurz vor Ende ihrer Amtszeit wollte Kroes ihre Ideen dann noch veröffentlichen. Der Pressetermin stand schon – und wurde kurz vor Beginn wieder abgesagt. Angeblich auf Anordnung von Kroes' Chef, EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso. Man kann nur ahnen, welche Kräfte im Hintergrund gewirkt haben. Die Pläne von Kroes verschwanden daraufhin in irgendwelchen Schubladen, und auch von den Ideen ihrer Kollegin Meglena Kuneva, die als Verbraucherschutzkommissarin einen eigenen Vorschlag für eine Europäische Sammelklage ausarbeitete, hörte man nichts mehr. Die Europäische Sammelklage schien tot.
Jetzt sendet sie wieder Lebenszeichen. Neue Pläne machen in EU-Kreisen die Runde. Der Ansatz scheint diesmal logischer: Keine zwei Vorschläge, sondern einen einzigen soll es geben. Die Generaldirektionen Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik der EU-Kommission arbeiten diesmal zusammen. Eine öffentliche Befragung sollte schon im November beginnen. Warum sie verzögert wurde, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. »Wir hoffen aber, das so bald wie möglich nachzuholen, bis zum Frühjahr dann die Auswertung vorzunehmen und im Sommer eine Mitteilung zu dem Thema zu veröffentlichen«, sagte Sebastian Bohr aus der Generaldirektion Verbraucherpolitik.
Was die Befragung Neues bringen kann, wusste Bohr nicht zu sagen. Zu erwarten ist, dass die bekannten Positionen wiederkehren. Verbrauchervertreter fordern die Europäische Sammelklage mit Nachdruck. »Dabei geht es nicht darum, wie in den USA Unternehmen mit Millionenklagen in den Ruin zu treiben«, betonte Augusta Maciuleviciute von Europäischen Dachverband der Verbraucherorganisationen Beuc. Vielmehr müssten die Verbraucher ein Instrument in die Hand bekommen, mit dem sie sich in einfacher Weise wehren könnten. Auch bei geringen Beträgen. Denn: »Wenn ein Telefonanbieter jedem Kunden eine Rechnung ausstellt, die um ein, zwei Euro zu hoch ist, wird kein einzelner Bürger dagegen klagen.« Wenn man aber gemeinsam mit vielen anderen Betrogenen gegen das Unternehmen klagen könne, sei eher garantiert, dass das Unrecht wirkungsvoll bekämpft wird. Nach Beuc’s Vorstellungen sollen die Verbraucherorganisationen die Möglichkeit bekommen, im Namen der Geschädigten zu klagen. Nach einheitlichen Regeln, um auch grenzüberschreitende Fälle behandeln zu können.
Von einem Europa-einheitlichen System hält die Wirtschaft nicht viel. Pedro Oliveira vom einflussreichen Europäischen Unternehmer-Dachverband Business Europe stellte das klar. »Wir müssen auf nationale Rechtstraditionen Rücksicht nehmen«, sagte er. Außerdem müsse es ja nicht gleich zu Klagen vor Gericht kommen. Es gebe viele außergerichtliche Verfahren, die schon heute funktionieren und bei denen auch Verbraucher ihre Rechte bekämen.
Das Stichwort: Die Sammelklage
Wenn mehrere Geschädigte gemeinsam für ein und dasselbe Vergehen eine Klage vor Gericht anstreben, handelt es sich dabei um eine Sammelklage. 73 Prozent der EU-Bürger würden von der Möglichkeit einer Europäischen Sammelklage Gebrauch machen, erklärt dazu der Europäische Dachverband der Verbraucherorganisationen Beuc. In 16 EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, bestehen bereits Sammelklagesysteme. Das deutsche wird von Beuc jedoch als nicht verbraucherfreundlich kritisiert. (kw)
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