Hör auf dieses Lied, es hat nur einen Ton

Manfred Krug und Freunde im Berliner Admiralspalast. An diesem Sänger hätte die DDR lernen können, lebendig zu bleiben

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Er hält immer noch das Mikrophon in beiden Händen, liebevoll-unbeholfen, so als sei er soeben aus dem Publikum auf die Bühne geholt worden und versuche nun zum ersten Mal überhaupt, in dieses Ding da so etwas wie ein Lied zu singen. Einerseits sehr entschlossen dazu, andererseits sehr unsicher. Die Kunst, etwas wie zum ersten Mal zu tun, fern aller Routine, beherrscht Manfred Krug nun schon ein halbes Jahrhundert. Sein Charme kommt immer noch aus dieser zu allem entschlossenen Zögerlichkeit.

Seit zehn Jahren gibt er wieder Konzerte, nachdem er mit dem Fernsehen von heute wahrscheinlich ebenso wenig anfangen kann wie dieses mit ihm. Schade, andererseits gibt es nun auch den Buchautor Krug, dem unerhörtes Selbstbewusstsein, das das Gegenteil bloßer Selbstdarstellerei ist, erlaubt, kleine, traurig-komische Geschichten aus seinem Leben zu erzählen, das Teil der großen Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts ist. Nein, kein Pathos, niemals, aber viel Kraft, um den alltäglichen Dingen ihren unverwechselbaren Ausdruck zu geben.

Über Krug und die DDR könnte man ganze Bücher schreiben. Wie anfangs beide aneinander wuchsen, der schauspielernde Stahlarbeiter und das andere Deutschland, um dann immer mehr ihre Unvereinbarkeiten zu entdecken. Krug, Antifunktionär durch und durch, selbst dann, wenn er Funktionäre spielte, traf auf einen mehr und mehr stumpfsinnigen Apparat, der solch anarchistische Vögel wie ihn nicht gern so frech im Land herumflattern ließ.

Es macht schon etwas melancholisch zu wissen, dass die DDR da einen, der ihr eigenes Wunschziel vom regierenden Arbeiter, dem proletarischen Künstler par excellence, aus lauter intellektueller Hilflosigkeit und Herzenskälte vertrieb.

Alle Klischees zersprangen unter seinem rauen Charme, auch das Bild vom Arbeiter, das sich die SED-Propaganda zurechtgemacht hatte. Der Bitterfelder Weg war zu schmal für diesen proletarischen Dandy, der sich lieber seine eigenen Wege suchte. Solche Helden hatten wir!

Im Westen spielte er dann anfangs auch Arbeiter (Fernfahrer), aber dort waren das bloß Gehaltsempfänger der unteren Kategorie, da ging kein regierender Anspruch mehr mit. So wurde dann schließlich auch Krug Anwalt und Kommissar, allerdings auch das mit einer sehr persönlichen Note, jedoch ganz ohne jene weltverändernde Frage, die den Charme von Krug in der DDR so subversiv gemacht hatte: Wie machen wir das hier richtig? Diese Frage konnte man eben nur einem Staat stellen, wenn man selber ein landesweit geliebter Arbeiterkünstler war und dieser Staat für sich in Anspruch nahm, ein Staat der Arbeiter (und Bauern!) zu sein. Alles Schnee von gestern?

Der Admiralspalast an der Berliner Friedrichstraße ist ausverkauft, vor der Tür sieht man die Schilder von noch Kartensuchenden. Auf der Eintrittskarte steht nur, dass hier das Berlin Jazz Orchestra spielt, eine neunzehnköpfige Bigband unter dem ehemaligen RiAS-Dirigenten Jiggs Whigham. Seit vier Jahren gibt es diese Konzerte hier, damals aus Anlass der Geburtstagsgala für Uschi Brüning. Da kamen neben Krug auch solche Jazz-Legenden auf die Bühne wie Ernst-Ludwig Petrowsky. Und doch kommen heute – trotz so großer Musiker wie Brüning und Petrowsky – fast alle wegen Krug. Der ist ein Stück eigenen Lebens für mehrere Generationen. Ein Spiegel ihrer hochfliegenden Träume, der dann nach und nach Sprünge bekam – schon vor 1989. Krug verkörpert das alles, er kam auch schon zehn Jahre eher als der Rest der DDR im Westen an, voller Trotz und Trauer. Aber auch hier mit dem Willen, die eigenen Dinge in die eigenen Hände zu nehmen. Widerstände und Niederlagen mit Sarkasmus zu kommentieren, hinter dem immer ein trauriges Lachen mitklingt – dafür liebt ihn sein Publikum.

Das junge Berlin Jazz Orchestra macht den Anfang. Es spielt zweifellos gut, (noch) eine ideale Hintergrundband. Wenn ich an die Jazz-Optimisten denke aus der Ära von Werner (Josh) Sellhorns Jazz-Lyrik-Prosa-Abenden, diese Ansammlung von gelassenen Hochleistungsexzentrikern, dann klingt der Sound hier vergleichsweise glatt. Das ändert sich erst, als Ernst-Ludwig Petrowsky auf die Bühne kommt und, bevor er sich seinem Saxophon widmet, von der »therapeuthischen Wirkung« von Jazz spricht. Die besitzt sie tatsächlich. Wenn Petrowsky »Tagträume« spielt, dann scheint das auf, was man die Seele des Jazz nennen kann. Es ist ein freudiges Klagen, ein jammerndes Jubeln über die Misere, in der wir leben. Aber wenigstens die dazu passende Musik wollen wir uns machen, eine, die uns nicht mit falschen Gefühlen betrügt. Jazz verkörpert das vielfach gebrochene Pathos des Zwietons: die Musik des Lebens von Mozart bis Armstrong. Hier wird der Zauber der Verwandlung spürbar, wie ihn Hermann Hesse mit seinem Saxophonspieler Pablo aus dem »Magischen Theater« des »Steppenwolfs« verkörpert.

Dann kommt Uschi Brüning, der man wieder nicht ansieht, welch musikalisch-explosives Temperament in ihr steckt. So kontrolliert und ernst sie wirkt, so unbedingt und entfesselt sind die Töne, die ihr Mund formt, dann, wenn es einen Rhythmus gibt, der sie dazu verführt, den Schutzwall zur Welt zu übersteigen. Jazz: Ekstase, die sich immer wieder einfängt und erdet. Wenn Uschi Brüning singt, wird der Widerspruch hörbar, aus dem wir gemacht sind: Vernunft und Gefühl, Stärke und Schwäche, Kühle und Wärme verweben sich zur Melodie, bekommen menschliches Maß. Ganz so, eingespannt zwischen die Pole Liebe und Trauer, singt sie dann »September« mit einem Text von Eva Strittmatter.

Nach einer dreiviertel Stunde betritt dann endlich Krug die Bühne, bescheidener Mittelpunktmensch, der wenig mehr tun muss, als da zu sein. Krug verkörpert damit das Wesen des Jazz, der für ihn auch aus einem Schlager kommen kann. Und darum sind die »alten Gurken«, die er mit kokettierendem Understatment nun zu singen ankündigt, auch ganz und gar nicht alt. Jazz ist nun mal die Kunst des nie ganz planbaren Zusammenspiels, der gut inszenierten Zufälle.

»Hör auf dieses Lied, es hat nur einen Ton« ist von 1965. Unsterbblich gerade in seiner zarten Vorläufigkeit. An dem Jazz-Sänger Manfred Krug hätte der Sozialismus der DDR lernen können, lebendig zu bleiben.

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