Der vergessene Holocaust

Erstmals sprach ein Vertreter der Sinti und Roma beim Gedenkakt im Bundestag

  • Lesedauer: 3 Min.
Innenminister Thomas de Maizière und Bundestagspräsident Norbert Lammert haben am 66. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zu Courage gegen Rechtsextremismus aufgerufen – Gesine Lötzsch und Klaus Ernst dazu, den Naziaufmarsch am 19. Februar in Dresden zu verhindern.
Berlin (ND/Agenturen). Zum ersten Mal hat am Donnerstag ein Vertreter der Sinti und Roma die traditionelle Rede im Deutschen Bundestag zum Gedenken an die Befreiung des Todeslagers in Auschwitz durch die Rote Armee gehalten. Zoni Weisz, der seine Eltern und Geschwister in Auschwitz verloren hat, erinnerte an die Ermordung von bis zu 500 000 Sinti und Roma durch den Faschismus. Weisz beschwor das Plenum, die Erinnerung an diesen »vergessenen Holocaust« neu zu erwecken. Der heute 73-jährige Niederländer musste sich als Kind vor den Verfolgern verstecken. Weisz erinnerte aber auch daran, dass Sinti und Roma in Europa bis heute diskriminiert werden.

Bundespräsident Christian Wulff (CDU) besuchte mit dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski eine Gedenkveranstaltung in Oswiecim (Auschwitz). Wulff bedankte sich bei den Nachfahren der Opfer für deren Bereitschaft zur Versöhnung. Der Bundespräsident, der von den Präsidenten des jüdischen Weltkongresses und des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ronald S. Lauder und Dieter Graumann, begleitet wurde, traf auch mit einer Gruppe ehemaliger Häftlinge des KZ Auschwitz zusammen. Wulff rief die Jugend zu mehr Engagement für Demokratie und Menschenrechte auf.

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) appellierte bei der Gedenkveranstaltung im Bundestag, als Konsequenz aus dem Holocaust »alle Formen von Diskriminierung und Intoleranz zu ächten und jeder Art des Hasses und der Ausgrenzung entgegenzutreten«. Bis heute seien die Sinti und Roma die größte und »zugleich die wohl auch am meisten diskriminierte Minderheit Europas«, so Lammert.

Bei einer internationalen Tagung von Holocaust-Forschern in Berlin unterstrich Innenminister Thomas de Mazière (CDU) die Bedeutung des Engagements Einzelner. Von denen, die trotz aller Gefahren Verfolgte versteckt hatten, könne die Gesellschaft bis heute lernen. »Im Konfliktfall dürfen wir die Auseinandersetzung mit den rechtsextremen Ideologen nicht scheuen«, sagte der Minister bei der Eröffnung der Tagung. Der demokratische Staat lebe davon, dass seine Bürger engagiert und eigenverantwortlich handelten. Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, Vorsitzende der LINKEN, riefen dazu auf, »im Bündnis mit allen antifaschistischen und demokratischen Kräften« den »europaweit größten Aufmarsch der Neonazis in Dresden« zu verhindern.

In Erfurt wurde am Donnerstagabend der »Lernort« Topf & Söhne eröffnet. Ingenieure dieser Firma hatten die Verbrennungsöfen für den Massenmord an den Juden konstruiert und gebaut. Die Öfen wurden unter anderem nach Auschwitz und Buchenwald geliefert. Eine Ausstellung dokumentiert nun die Verstrickung der Industrie in den Holocaust.

In Jerusalem traf sich die Knesseth am Vorabend des Gedenktages zu einer Sondersitzung. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu forderte dabei mehr Anstrengungen im Kampf gegen neue Formen des Antisemitismus. Wenn der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad zur Vernichtung Israels aufrufe, dann müsse die Welt entschlossen handeln. »Ich erwarte von der Welt, ihre Lektion zu lernen«, so Netanjahu.

Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem stellte am Mittwoch weiteres Archivmaterial ins Internet. 130 000 Fotos seien nun hochauflösend zugänglich, hieß es.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.