Hoffnung für Schlaganfallpatienten
Forscher untersuchen magnetische Stimulation des Gehirns für Diagnosen und Therapien
Die Geschichte der transkraniellen Magnetstimulation beginnt im 19. Jahrhundert. Damals legte der französische Physiker Jacques-Arsene d’Arsonval sich selbst und anderen Menschen gewaltige Starkstromspulen um den Kopf. Unter Einfluss der Magnetfelder sahen die Probanden Lichtphänomene, erlitten Schwindelanfälle, wurden nicht selten ohnmächtig.
Ein Jahrhundert später folgte die Renaissance des Verfahrens: Mit kleinen leistungsfähigen Spulen stimulierte der Medizinphysiker Anthony Barker von der Universität Sheffield in den 1980er Jahren einzelne Areale der Großhirnrinde – und startete damit den bis heute andauernden Boom. Bei dem völlig schmerzfreien Verfahren sollen Magnetfelder unterschiedlicher Stärke unter der Schädeldecke Neuronenverbände stimulieren oder hemmen. Zwar wirkt die allgemein gut verträgliche Technik nur bis maximal drei Zentimeter unter die Schädeldecke. Aber schon in diesem Bereich erzielen die Impulse erstaunliche Effekte. Über den motorischen Kortex gehalten, lassen die Spulen Finger zucken, über dem visuellen Kortex verursachen sie Lichterscheinungen, und über dem Broca-Areal sorgen sie für Sprachstörungen.
Fest etabliert hat sich die TMS in der Hirnforschung und Diagnostik. »Mit dieser Methode können wir bestimmte Regionen hemmen oder für kurze Intervalle ganz ausschalten«, sagt der Neurologe Friedhelm Hummel vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. »So lässt sich kausal testen, welche Funktion ein Areal hat.« Zudem hilft die Magnetstimulation bei der Diagnose bestimmter Erkrankungen wie etwa Multipler Sklerose. Aber damit ist das Potenzial noch längst nicht erschöpft. Seit etwa zehn Jahren rückt die therapeutische Anwendung in den Fokus von Medizinern – etwa gegen Depression, Tinnitus, Migräne, chronische Schmerzen oder Lähmungen nach einem Schlaganfall. »Die transkranielle Magnetstimulation wird gerade an etlichen neuropsychiatrischen Erkrankungen erprobt«, so Hummel.
Aber während sich ein Finger leicht zum Zucken bringen lässt, gestaltet sich die Therapie komplexer Störungen, deren lokaler Ursprung sich nur schwer orten lässt, schwierig. Die bisher einzige therapeutische Zulassung erteilten die US-Behörden dem Verfahren zur Behandlung der Schwermut. Dennoch bezweifeln Experten, dass die Hirnstimulation ein ausgeprägtes Stimmungstief langfristig bessern kann. Die vielen, meist kleinen Studien dazu lieferten bislang widersprüchliche Resultate.
Größere Hoffnungen legen deutsche Forscher in die Therapie von Schlaganfallpatienten. Anders als bei der Depression lassen sich hier die betroffenen Hirnregionen recht gut ermitteln. Bei Menschen mit Lähmungen oder Sprachstörungen soll die Stimulierung dieser Areale die Rehabilitation verbessern. Ermutigende Fallbeispiele und erste Studien stützen diese Hoffnung. Aber ob die Hirnstimulation auch großen Patientengruppen hilft, weiß niemand. »Der Nachweis für eine langfristige Wirkung fehlt bisher«, sagt der Neurologe Roland Sparing von der Uniklinik Köln.
Kommerzielle Anbieter stört das nicht. Trotz fehlender klarer Wirknachweise preisen manche Arztpraxen die TMS fast als Allheilmittel an. Die angeblich »schonende Naturheilmethode« helfe nicht nur bei Depression, Tinnitus und Schmerzen, sondern auch gegen Parkinson- und Alzheimer-Krankheit, Panikattacken und Burnout-Syndrom, Multiple Sklerose und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Selbst gesunde Menschen, so wird verkündet, könnten von dem Verfahren profitieren und damit ihr Gehirn zu Höchstleistungen anspornen.
Solche vollmundigen Versprechungen sind alles andere als fundiert. »Es gibt Beispiele für eklatanten Unsinn«, sagt der Neurophysiologe Walter Paulus, der an der Uniklinik Göttingen die transkranielle Stimulation mit Hilfe von Gleichstrom zur Schmerzbehandlung erforscht. Die seriöse therapeutische Anwendung der Verfahren – egal ob mit Magnetfeldern, Gleich- oder Wechselstrom – stehe am Anfang.
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