„Khodorkovsky" – Was für ein Kreml-Kritiker?

  • Charlotte Noblet
  • Lesedauer: 4 Min.
Jeder in Russland hat was über den ehemals reichsten Mann des Landes zu erzählen. Auch den deutschen Regisseur Cyril Tuschi (42) fasziniert der Fall. Wer steckt eigentlich hinter dem hartnäckigsten Kreml-Kritiker und berühmtesten Häftling Russlands, der bis 2017 wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen eine Haftstrafe absitzen muss?
„Khodorkovsky" – Was für ein Kreml-Kritiker?

Die kommende Weltpremiere der Dokumentation sorgt wieder für Aufsehen über den Fall Chodorkowski. Nicht nur weil am Freitag den 4. Februar die Endfassung des Russland-kritischen Films bei einem Einbruch in Tuschis Produktionsräume in Berlin-Mitte verschwand. Politische Einschüchterung? Die Weltpremiere ist nicht gefährdet, die Berlinale hatte bereits eine Kopie.

Durch Aussagen von früheren Weggefährten Chodorkowskis, dessen Familie und von Politikern, lässt die Dokumentation auf die Karriere des Öl- und Bankmagnaten zurückblicken.

Ein „Bizness-Mann“

der ersten Stunden Sie beginnt in den 1980er Jahren, als Chodorkowski am Mendelejew-Institut in Moskau Chemie-Ingenieur studiert und als stellvertretender Vorsitzender des Komsomol dafür sorgt, dass seine Kommilitonen zu den Versammlungen der Parteijugend erscheinen.
Schnell geht es dann aber um die Zeit der Auflösung der Sowjetunion und Chodorkowski macht was die Russen „bizness“ nennen: Import-Export sowie Spekulation über den Wechselkurs Rubel-Dollar. In kürzester Zeit wird Chodorkowski zum „Kapitalisten der ersten Stunde“ und gründet 1988 die Menatep, eine der ersten Privatbanken in der UdSSR.

Während den frühen 1990er Jahren macht Chodorkowski sich die Inflation der Rubel zunutze und wird immer mächtiger. Als „Nouveau Riche“ steht er allerdings nicht auf Datscha und dicke Autos. Vielleicht rettete ihn dies vor einer Reihe von Anschlägen, die auf Banker in diesen „Transformations“-Jahren stattgefunden haben, sagt der Chef seines Sicherheitsdienstes, ein ehemaliger KGB-Offizier vor der Kamera.

Der Yukos-Boss

Ende 1995 bekommt Chodorkowski die Chance zum großen Coup. Damals ging der Jelzin-Regierung das Geld aus, die Privatisierung der riesigen Öl-, Gas- und Bergwerkskombinate war aber untersagt. Ein neu geschaffenes Gesetz erlaubte es dennoch inländischen Banken der Regierung das nötige Geld auszuleihen. Als Sicherheit dienten hinterlegte Aktien der Energie- und Erzgiganten, für den Fall, dass die Regierung die Kredite nicht bedienen könnte – wovon die Geldhäuser ausgingen. Bei dieser Ausplünderung erwirbt Chodorkowski für 350 Millionen Dollar den Ölgiganten Yukos. Zwei Jahre später war der Wert seines Aktienpakets auf das Zwanzigfache gestiegen. So lief die postsowjetische Zeit für Chodorkowski: Er nimmt am Aufbau des wilden Kapitalismus in Russland teil, bleibt aber der nette Kerl mit dem unprätentiösen Auftreten.

Mit der Finanzkrise im Jahr 1998 verwenden Chodorkowski und sein Team „unfeine Praktiken“, um die Metanep Bank zu retten und Yukos profitabel zu machen. Dann stieg der Ölpreis und obwohl Wladimir Putin im Präsidentenamt war, ging es Chodorkowski ziemlich gut – im Gegensatz zu vielen anderen Oligarchen.

Ein humanistischer Oligarch

Der Wechsel kam 2000, als Putin den Oligarchen vorschlägt das "Kredite für Aktien"-Programm und die Privatisierungsgeschäfte der 1990er Jahre, gegen ihre absolute politische Stille, bestehen zu lassen. Warum auch immer, der Deal wirkte wie ein Auslöser bei Chodorkowski: Ihm waren Medienfreiheit und Zivilgesellschaft wichtiger und er gründete die „Open Russia“-Stiftung und finanzierte damit Künstlerprogramme und Bildungsprojekte. Gleichzeitig unterstützte er die Opposition und machte aus Yukos den größten Ölproduzent Russlands. Doch das Projekt einer eigenen Yukos-Pipeline nach China verrät den Konflikt mit dem staatlichen Monopol an Ölpipelines: Das Menatep-Yukos-Imperium wurde auf einmal zu mächtig.

Chodorkowski missachtet alle Signale und tritt umso mehr in der Öffentlichkeit auf. Selbst nach der Festnahme seiner engsten Mitarbeiter lehnt er ein „politisches Exil“ ab. Trotz seiner Prominenz und seine Kontakte in die ganze Welt war der reichste Mann Russlands nicht unantastbar: Am 25. Oktober 2003 wurde er von einer Sondereinheit aus seinem Flugzeug in Nowosibirsk „verschleppt“ und verhaftet. Wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen.

Ein Kampfmutiger Häftling

Zu Beginn des ersten Prozesses gegen Chodorkowski im Mai 2005 wurden riesige Steuernachforderungen an den Yukos-Konzern gestellt, welcher schließlich in den Besitz des staatlichen Ölkonzerns Rosneft überging. Der zweite Prozess gegen Chodorkowski wurde am 31. März 2009 eröffnet: Teil der Botschaft war, dass das Urteil von ganz oben kommen würde, was Chodorkowski jedoch nicht akzeptiert, auch nicht als Häftling. Ein bisschen wie sein Vorbild, Pavel Korchagin, der nie seine Zuversicht und seinen Kampfesmut verlor.

Das Leben des Michail Borissowitsch Chodorkowski ist großes Kino und fasziniert offensichtlich den deutschen Regisseur Cyril Tuschi. Die mühsame Recherchearbeit über den Fall hat er in seine Dokumentation integriert, der Mangel an Archivmaterial, wie bei der Erstürmung des Flugzeuges, wurde durch Comic-Animationen ausgefüllt. Das High-Light des Ganzen ist sicherlich das 10-Minuten lange Interview mit dem Angeklagten bei seinem zweiten Prozess. Oder vielleicht auch die Reaktion der Prominenten und des Publikums bei der Berlinale?

… Eine Reaktion der deutsch-russischen Gemeinschaft?

Was für eine Bedeutung hat der Fall Chodorkowski für die Russen, ob in Russland oder im Ausland?
Das habe ich mich erneut gefragt, als am Wochenende alle Zeitungen am Kiosk meiner Haltestelle mit Mubaraks Rücktritt aufmachten, außer einer russischen Zeitung: Die Erste Seite war für Chodorkowski.

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