Das Auslaufmodell Atomkraft

Regisseur Volker Sattel über eine Utopie, an die keiner mehr glaubt

  • Lesedauer: 4 Min.
Volker Sattel, Regisseur und Kameramann, stellte im Forum der Berlinale seinen dokumentarischen Essay »Unter Kontrolle« vor, der den schönen Untertitel trägt: »Eine Archäologie der Atomkraft«.
Das Auslaufmodell Atomkraft

ND: Wie, in aller Welt, bekommt man eine Drehgenehmigung, im Innersten von Atomkraftwerken zu drehen?
Sattel: Früher waren die Kraftwerke eigenständig, heute entscheiden die Stromkonzerne. Das ist fast wie eine Bruderschaft. Sobald man beim einen wegen einer Drehgenehmigung nachgefragt hatte, wussten die anderen schon Bescheid, wenn man dann bei ihnen ankam. Weil man dort mehr an kritische Journalisten gewöhnt ist, von denen man sich permanent in die Pfanne gehauen fühlt, konnten die mit meinem Projekt erstmal nicht viel anfangen.

Was war anders bei Ihnen? Sind Sie denn unkritisch?
Ich hatte mir lange Gedanken darüber gemacht, wie man die Atomenergie ästhetisch erfahrbar machen kann. Wir wollten nicht ideologisch an die Sache rangehen, sondern einen neuen Blick öffnen. Beklemmende Situationen zeigen, aber auch faszinierende. Für mich haben diese Spuren, die die einstige Utopie Atomkraft hinterließ, ihre eigene Schönheit. Ich wollte eine Projektionsfläche bieten – für die Gegner, aber auch für jene Leute, die die Kraftwerke betreiben. Es war ein erster Schritt der Annäherung, dass wir unser Interesse an der Technik bekundeten. Schließlich gab es irgendwann genug Vertrauen, so dass wir über die Konzernzentrale an die Kraftwerke selbst herantreten konnten.

Gab es den Untertitel zum Film zu dem frühen Zeitpunkt schon?
Nein, den gab es da noch nicht.

Der Film bewegt sich von Grohnde an der Weser, wo die Bevölkerung noch einverstanden war mit der Ansiedelung eines Kraftwerks, nach Essen in die Kraftwerksschule, wo im Simulationszentrum der Ernstfall geprobt wird, und von Niederösterreich, wo eine Volksabstimmung gegen den Betrieb des Kraftwerks entschied, bis ins Strahlenmüll-Lager Morsleben. Der perfekte Bogen von der Begeisterung für die Technik bis zur Verbitterung über deren Abbau – und die Gründe dafür.Wie viel davon war Drehbuch, wie viel hat sich vor Ort ergeben?
Gebot für die Drehgenehmigungen war die genaue Festlegung, was wir wann wo drehen würden. Alle Interviewfragen mussten vorher eingereicht werden, und beim Dreh standen immer mindestens drei Leute um uns herum. Es war also klar, dass sich beim Dreh wenig aus der spontanen Situation heraus entwickeln würde. Aber auch wenn wir uns in diesem Sinn dem Selbstdarstellungswillen der Atomkraftindustrie unterwerfen mussten, wollten wir dem Zuschauer die Möglichkeit geben, die Akteure als lebendige Menschen wahrzunehmen, die bei ihrer Arbeit vielleicht auch mal Verunsicherung spüren oder eine Ahnung haben von möglichen Tragödien. Viele fürchten nicht nur um ihre Arbeitsplätze, viele glauben auch noch immer an die Technik – und daran, dass sich die Frage der Endlagerung irgendwann wird lösen lassen. Natürlich wissen sie auch, dass sie im Ernstfall die ersten wären, die von der Strahlung betroffen sind. Aber viele von ihnen kommen aus dem Bergbau oder dem Militär – die sehen das als Berufsrisiko.

Ihr Film ist zwar noch kein Nachruf geworden, aber doch das Bilddokument einer auf ihre Abwicklung zusteuernden Technologie.
Es gab wohl auch den einen oder anderen bei den Konzernen, der in diesem Dokumentarfilm die Chance eines einmaligen historischen Dokuments sah – über eine Technologie, die bald nicht mehr existieren wird. Denn das wissen auch die Betreiber, dass das Ende absehbar ist. Aus einer Verheißung für die Zukunft ist ein Auslaufmodell geworden. Es war nie der billige Strom, den man sich erhofft hatte, die Sicherheitsanforderungen sind eskaliert, weshalb es sich noch weniger rechnet, und auch die Akzeptanz in der Bevölkerung ist massiv zurückgegangen. Was an Fortschrittsglauben noch existiert, ist auf die alternativen Energien übergegangen.

Dass in Deutschland und Österreich gedreht wurde, hatte sicher vor allem logistische Gründe. Es ergibt sich aber der schöne Mehrwert, dass da einerseits eine deutsche Spießigkeit und Gründlichkeit zum Vorschein kommt, die gruselig ist – aber andererseits auch irgendwie beruhigend wirken. Am Ende hat man den Eindruck: Wenn es irgendwo ohne Störfall abgehen könnte mit der Atomenergie, dann noch am ehesten hier. Wenn sich nur das elende Problem der Endlagerung lösen ließe ...
(Lacht.) Im Inland zu drehen, hatte viele Gründe, natürlich auch organisatorische. Es gab aber schon den Hintergedanken, dass uns vielleicht auf besondere Weise ein Bild der Bundesrepublik gelingen könnte, in der die Atomgeschichte sehr verwurzelt ist.

Interview: Caroline M.Buck

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