Immer weniger Fälle landen in Leipzig
Bundesverwaltungsgericht mahnt mehr Bürgerbeteiligung bei Bauvorhaben an
Das Bundesverwaltungsgericht hat Gesetzespläne kritisiert, die Beteiligung von Bürgern bei großen Bauvorhaben zu verringern. Das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 habe erhebliche Akzeptanzprobleme großer Infrastrukturmaßnahmen offenbart. »Im Hinblick auf die Diskussion der letzten Monate hätte ich mir eher einen Vorschlag vermehrter Beteiligungsmöglichkeiten für die interessierte Zivilgesellschaft erwartet«, sagte Gerichtspräsidentin Marion Eckertz-Höfer am Mittwoch bei ihrem Jahrespressegespräch in Leipzig.
Nach einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums soll die Anhörung von Personen, die Einwände erhoben haben, in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt werden. Dadurch soll sich die Zeit für Bauplanungen verkürzen. Das Gesetzesvorhaben ist Ende des Jahres bekannt geworden.
Eckertz-Höfer, deren Gericht für die großen Infrastrukturmaßnahmen der Bundesrepublik zuständig ist, warnte vor einer weiteren Entfremdung zwischen Bürgern und Politik. Der Bürger habe ohnehin das Gefühl, »dass bereits vieles, wenn nicht sogar alles vorentschieden ist«. Gefährlich werde diese Auffassung, wenn sie sich mit dem Gefühl paart, die »politische Klasse« sei zu angemessenen Problemlösungen nicht in der Lage.
Für mehr Akzeptanz sieht sie die Verwaltung in einer »Bringschuld«. Diese könne beispielsweise Internetforen einrichten, in denen Informationen und Stellungnahmen ausgetauscht werden und »ernsthafte Argumente durchdachte Antworten der zuständigen Stellen erhalten«. Ziele eines Bauvorhabens und mögliche Alternativen müssten frühzeitig und umfassend öffentlich diskutiert werden können, denn viele Defizite ließen sich im gerichtlichen Verfahren nicht mehr ausgleichen. Denn »ob« ein Bauvorhaben überhaupt sinnvoll ist, dürfe vor Gericht meist nicht mehr überprüft werden. Darin vermutet Eckertz-Höfer eine Ursache, warum im Falle von Stuttgart 21 auffällig wenig Menschen den Klageweg beschritten haben.
Dies ist zugleich ein allgemeiner Trend. Seit zehn Jahren landen immer weniger Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht, das Streitigkeiten zwischen Bürger und Staat entscheiden soll. Im abgelaufenen Jahr waren es nur 1 bis 1,5 Prozent der jährlich etwa 170 000 Verwaltungsprozesse. Das muss nicht alarmieren. Problematisch wird es aus Sicht der Gerichtspräsidentin aber, wenn Bürger sich einfach nur abgeschreckt fühlten.
2011 stehen wichtige Entscheidungen für umstrittene Großprojekte an. Dabei geht es etwa um den Ausbau der Flughäfen in Berlin-Schönefeld und Frankfurt am Main. Auch viele Schicksale von Flüchtlingen hängen von den Richtern ab. So werden sie unter anderem in mehreren Fällen die restriktiven Regelungen zum Familiennachzug prüfen.
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