Starre Rituale der Macht

Guttenberg konnte deshalb schummeln, weil der Wissenschaftsbetrieb ihm das ermöglichte

  • Gert Lange
  • Lesedauer: 4 Min.
Karl Theodor zu Guttenberg hat einen Großteil seiner Doktorarbeit von anderen abgeschrieben. Möglich wurde dies auch, weil ein auf ritueller Anerkennung basierenden Wissenschaftsbetrieb Kontrolle und objektive Anerkennung von Leistung erschwert. Die Halbjahreszeitschrift »Gegenworte« der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften widmete sich schon vor Wochen diesem Thema. Durch die Enthüllungen im Fall Guttenberg wird die Schrift unerwartet aktuell.

Zu den Merkmalen, die ein Ritual auszeichnen, gehört, dass es sich nach bestimmten Regeln wiederholt, in mehr oder weniger starren Formen (Riten) gepflegt und vor allem, dass es bedeutungsschwanger überhöht wird. Von »Auszeichnen« zu reden, ist gar nicht verkehrt, denn Rituale bewirken, dass sich unter ihrem Einfluss Gemeinschaften festigen. Was aber, wenn sich die Formen verselbstständigen und wie ein Zwangskorsett den Körper am Atmen hindern? Alex Michaels, Sprecher des Sonderforschungsbereichs »Ritualdynamik« an der Universität Heidelberg, macht die Entartung eines ursprünglich sinnfälligen Anliegens, nämlich der gerechten Bewertung wissenschaftlicher Leistung, am Beispiel der Evaluationen deutlich.

Jeder Wissenschaftler beklagt die »Evaluitis« wie ein kräftezehrendes Syndrom. Denn im Vorfeld solcher Begutachtungen müssen sie fast mehr Zeit aufwenden für Berichte und Poster als für die Forschung, das eigentliche Anliegen, das befördert werden soll. Was spielt sich da ab? Es sind »inszenierte Überprüfungen, sogenannte Begehungen«, die nicht länger als zwei Tage dauern. Die Begehungen haben schon den Charakter von Herrschaftstreffen, schreibt Michaels, schließlich begegnen sich ja Herrscher »von gleichem Stand«. Die Abläufe sind bis in Details der Kleiderordnung und Verköstigung festgelegt. Kritik an den Evaluatoren ist verpönt, selbst wenn sich herausstellt, dass sie die Spezifik der Institution gar nicht richtig erfasst und die Unterlagen nicht wirklich gelesen haben. Die Begutachteten und Empfänger des in Aussicht gestellten Geldes müssen sich hoheitlich erweisen. Wer gegen diese zur Routine gewordenen Praxis verstößt, wird bestraft oder ausgegrenzt.

Evaluationen sind also auch Rituale der Macht. Ihre Effizienz, sagt Michaels, »liegt in der Inszenierung von Misstrauen«. Die Maßstäbe der Bewertung wie des erwarteten Verhaltens werden jedoch außerhalb, in eher politischen Gremien festgelegt. Michaels macht kein Hehl daraus, dass er Evaluationen ablehnt, schränkt aber ein: Ganz ohne wird es nicht gehen, nur müsse die Vielzahl solcher Übungen eingeschränkt werden, im Mittelpunkt solle die Individualität der Forscherpersönlichkeit stehen und etwas mehr Vertrauen in die Motivation der Forscher könne der Sache nur guttun.

Zu den rituellen Gepflogenheiten gehört, die Reputation der Wissenschaftler an der Anzahl ihrer Veröffentlichungen zu messen. Carsten Hucho schildert den »Fall« des J.H. Schön, dessen Publikationsgeilheit, Renommiergehabe, aber auch Getriebensein durch dieserart Anforderungen ihn tatsächlich zu Fall brachte. Mit 31 Jahren bereits als künftiger Max-Planck-Direktor gehandelt, wurden ihm erschwindelte Experimente und Fälschungen nachgewiesen. Jürgen Kaube schätzt ohne alle Ironie ein, dass die Mehrzahl der geisteswissenschaftlichen Aufsätze gar nicht geschrieben werde, damit man sich mit ihnen auseinandersetzt; Zielort sei die eigene Publikationsliste.

Mit der Anzahl der Zitierungen in Fachartikeln verhält es sich ähnlich. Da sehen beispielsweise die Polarforscher alt aus, die mit Schallwellen die Erdkruste unter dem Eis erkunden. Das können sie nur alle paar Jahre in demselben Gebiet tun, die Auswertung ist schwierig, und da weltweit nur zwei oder drei Gruppen in der Lage sind, diesen Einsatz zu leisten, werden sie auch wenig zitiert. Jeder weiß, dass die Veröffentlichung eines fundamentalen Ergebnisses mehr wert ist als zehn Publikationen von Messergebnissen, die (noch) zu keiner Erkenntnis führen. Trotzdem machen die Mitglieder der Berufungskommissionen und Preiskomitees immer wieder wie Erbsenzähler solche quantitativen Kriterien geltend, wenn es um Exzellenz geht.

Frauke Hamann und Frank Nullmeier, eine Historikerin und ein Politologe, untersuchen ein anderes heißes Eisen, die Effizienz von Gremien. Sie gibt es auf allen Ebenen, von den Universitäten bis ins Parlament. Sie sind »als solche« bereits »Rituale der Beteiligung«. Aber was spielt sich in diesen arrivierten Grüppchen ab? Für Kompromisse in den Verhandlungen ist kein Raum. Alternativen werden zwar diskutiert, aber das sind »Schaudiskussionen«, in denen die Kontrahenten lediglich ihre Position markieren. Schon diese »Virtuosität« vollzieht sich rituell. Die Mehrheit entscheidet und das Resultat der Entscheidung steht von vornherein fest. Denn die Gremiummitglieder richten sich wieder nach übergeordneten Gremien, die deren Strategie vorgeben. Letztlich nach dem Parlament. Die Debatten im Bundestag spiegeln die Ritualisierung der Kommunikation in abschreckender Weise. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass auch die gremieneigenen Gewohnheiten und Sitten nichts anderes bezwecken, als die Verteilung der Macht zu regeln.

Was nicht hinterfragt wird, ist der Umstand, dass schon die Wahl und Zusammensetzung von Gremien nach gewissen Riten abläuft. Auf dem Ritual-Kolloquium der Daimler-Benz-Stiftung im vergangenen Jahr hat der Unternehmensberater Jürgen Häusler vorgeführt, wie, auch wie formell, aus einem prinzipiell gleichen Personalpool immer neue Gremien zusammengesetzt werden. Ein weiteres Desiderat: An die politische Ritualisierung der neoliberalen Wirtschaftstheorie hat sich offenbar niemand herangetraut.

Historische Beispiele wie der Kult um Traditionsstätten, Standesinsignien, Fetischrituale, Übergangsrituale (Promotion, Habilitation) runden den Themenkreis ab. Das alles ist lebhaft und praxisnah beschrieben. Höchst amüsant der Bericht Christoph Makschies über seine Erfahrungen mit der Amtskette der Berliner Humboldt-Universität und Dieter Simons, des einstigen Akademiepräsidenten, mit seinen Talaren. Eine Lektüre, die nachdenklich stimmt.

Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen. Herausgegeben von der Berlin-Bandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Heft 24, 12 Euro.

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