China soll künftig nicht mehr um jeden Preis wachsen
Heute beginnt in Peking die Sitzung des Nationalen Volkskongresses
China werde in Zukunft nicht mehr um jeden Preis wachsen, so Premierminister Wen Jiabao. Ab heute debattiert der Volkskongress den neuen Fünfjahresplan von 2011 bis 2015. Dabei soll der Nachhaltigkeitsgedanke künftig eine dominierende Rolle spielen. Im Vorjahr stieg das Bruttoinlandsprodukt Chinas noch um 10,3 Prozent. Mit einem hohen Wachstum sollen vor allem die zurückgebliebenen Bevölkerungsteile so schnell wie möglich aus ihrer Armut befreit werden. Die Umwelt hatte dabei bisher das Nachsehen. Aber die Führung in Peking denkt um. »Wir werden die Umwelt nicht weiter für höheres Wachstum aufs Spiel setzen«, sagt Regierungschef Wen. »Das würde in eine nicht nachhaltige Entwicklung mit Überkapazitäten und Ressourcenverschwendung ausarten.«
Umweltminister Zhou Shengxian warnte diese Woche bereits nachdrücklich: »In Tausenden von Jahren chinesischer Zivilisation war der Konflikt zwischen Mensch und Natur nie so schwerwiegend wie heute.« Die Erschöpfung der Ressourcen und der Verschleiß der Umwelt entwickelten sich zu einem ernsthaften Hindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. »Wir werden einen schmerzhaften Preis zu bezahlen haben – und es wird unersetzliche Verluste geben.«
Zhou sieht auch die Harmonie und Stabilität der Gesellschaft in Gefahr. Denn immer öfter gehen die Bürger auf die Barrikaden. Sie haben die Nase voll vom Dreck vor ihrer Haustür, den Fabriken und Kraftwerke verursachen und damit die Gesundheit der Chinesen aufs Spiel setzen. Der letzte Vorfall ereignete sich im Januar in der Provinz Anhui, wo bei 200 Kindern in der Nähe einer Batteriefabrik eine erhöhte Bleikonzentration im Blut festgestellt wurde. Die lokalen Behörden sollen in Zukunft verstärkt die Hersteller der Bleiakkus unter die Lupe nehmen und Betriebe auf Eis legen, wenn Bestimmungen nicht eingehalten werden. »Die Kontrolle der Verschmutzung durch Schwermetalle wird eine unserer Hauptaufgaben sein«, betonte der Umweltminister.
Der neue Fünfjahresplan wird eine Reduktion von 15 Prozent gegenüber den Werten von 2007 als Ziel ausgeben. Diese Richtlinien gelten für Blei, Quecksilber, Chrom, Kadmium und Arsen. Neben den Schwermetallen werden auch der Ausstoß von Stickstoff in der Luft und Ammoniakstickstoff im Wasser fortan strikt reguliert. Die Behörden werden diese Auflagen stärker kontrollieren und durchsetzen müssen. »Wir sollten den Maßstab ändern, wie wir die lokalen Beamten beurteilen«, schlägt Wen Jiabao vor. »Hauptkriterium sollte sein, ob sich die Menschen in den Provinzen glücklich und zufrieden fühlen, und nicht die Anzahl der neuen Hochhäuser.« Organisiert vom Portal der Regierung sowie der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua hatte sich der Premierminister den Fragen der Internetgemeinde gestellt.
Der Großteil der Fragen drehte sich erwartungsgemäß um wirtschaftliche Probleme, die Inflation bei Nahrungs- und Hauspreisen oder die Einkommensunterschiede. »Wir werden Maßnahmen in all diesen Bereichen ergreifen, einschließlich der Steuerpolitik, um China zu einem Land von Gleichheit und Gerechtigkeit werden zu lassen, in dem jeder Bürger mit einem Sicherheitsnetz leben kann«, erklärte Wen. Zunehmende Proteste haben die Regierung nervös werden lassen. Ein Vergleich mit Nordafrika ist dennoch nicht zutreffend, denn China schaffte es durch eine geschickte Politik, den Wohlstand vieler Bürger deutlich zu verbessern. Die Proteste richten sich so vorwiegend auch nicht direkt gegen die Regierung, sondern prangern konkrete Missstände an, niedrige Löhne etwa, hohe Preise oder eben die starke Umweltverschmutzung.
Minister Zhou Shengxian hat sich selbst für die wichtige Aufgabe ins Spiel gebracht, in Zukunft die Verschmutzung und Umweltverträglichkeit von Industrieprojekten zu kontrollieren, auch mit Blick auf den Klimawandel. Diese Verantwortung lag bisher bei der mächtigen Entwicklungs- und Reformkommission, die weitgehend für das chinesische Wirtschaftswunder verantwortlich zeichnet.
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