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Da ist sie aber immer noch ...
HUMBOLDT-UNIVERSITÄT
Eigentlich hätte es die Universität mit dem Namen der Brüder Humboldt schon nicht mehr geben dürfen, wäre es nach dem Willen einiger Scharfmacher gegangen. Arnulf Baring beispielsweise hatte gehofft, mit dem Scheitern der DDR sei »auch das Ende jener elenden Einrichtung gekommen, die sich dreist … als Fortsetzung der alten Berliner Universität Unter den Linden ausgegeben und sich usurpatorisch den Namen Humboldt zugelegt hatte«. Sie sollte verschwinden und die (Westberliner) Freie Universität an ihre Stelle treten – als Friedrich-Wilhelm-Universität.
Was diese »elende Einrichtung« wirklich gewesen und was in fast 50 Jahren in ihren Mauern geleistet worden war, darüber legt der hier anzuzeigende Band Zeugnis ab. Ihre Verfasser sind mit Ausnahme des Juristen Karl Schwarz ostdeutsche Wissenschaftler von Rang und Namen, deren Berufsleben eng mit der Linden-Universität verbunden war. Als Akteure, Betroffene und einst Verantwortung Tragende nehmen sie kritisch zur Entwicklung ihrer Fachdisziplinen oder der Hochschule insgesamt Stellung, und sie machen zugleich deutlich, dass die Humboldt-Universität auch unter den gesellschaftlichen Bedingungen der DDR eine »Hochburg wissenschaftlicher Arbeit und Exzellenz im Osten Deutschlands« war.
Ein roter Faden im doppelten Sinne ist hier das für die DDR spezifische Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Keiner der Autoren bezweifelt, dass sich die Universität und die einzelnen Fachbereiche in einem schwierigen Spannungsfeld von immanent-wissenschaftlichen Antriebskräften und der Beeinflussung von außen durch Politik und Staat befand. Aber dieses Verhältnis allein auf Repressionen, die es ja gab, auf die ebenfalls nicht zu leugnende politische Gängelei mit durchaus schlimmen Auswüchsen in den 1960er und 1970er Jahren oder den Gegensatz von Diktatur und Demokratie zu reduzieren, wäre verfehlt. Die Politik war ohne Wissenschaft nicht imstande, ihre wirtschaftlichen und außenpolitischen Ziele durchzusetzen. Wissenschaft und Politik mussten hier inein-ander greifen. Dass andererseits bornierte, vordergründig ideologische Vorgaben der Partei- und Staatsführung in der DDR schweren Schaden im Hochschulbereich anrichteten und die Verschleuderung wissenschaftlicher Ressourcen bedingten, bedarf keiner zusätzlichen Erörterung (siehe die Beiträge von Hubert Laitko, Siegfried Prokop, Guntolf Herzberg oder Dieter Klein).
Über herausragende wissenschaftliche Leistungen berichten, ohne Mankos zu verschweigen, Klaus Fuchs-Kittowski (Ökonomische Kybernetik, Wissenschaftstheorie und -organisation), Werner Ebeling (Physik und Interdisziplinarität), Gisela Jacobasch (Biochemie als Biowissenschaft), Ernst Lindemann (Agrarwissenschaften), Karl-Friedrich Wessel (philosophische Probleme der Natur-, mathematischen und technischen Wissenschaften), Eckart Mehls (Geschichte Osteuropas).
Scheitern musste, weil politisch nicht gewollt, der Versuch, im Zuge der Wende die Humboldt-Universität aus sich heraus zu erneuern (Karl Schwarz). Ganz abgewickelt wurde die Sektion Geschichte. Von 728 Hochschullehrern der Universität verloren 644 ihre Position. Welch eine ungeheuerliche Verschleuderung wissenschaftlicher Ressourcen!
Der Band bietet, auch wegen der reinen Zeitzeugenberichte (u. a. Lothar Kolditz, Peter H. Feist, H.-C. Rauh), eine aufregende Lektüre.
Wolfgang Girnus/Klaus Meier (Hg.): Die Humboldt-Universität Unter den Linden 1945 bis 1990. Leipziger Universitätsverlag. 653 S., geb., 49 €.
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