Hanseatischer Demokrat
Fixstern am literarischen Himmel: Siegfried Lenz wird morgen 85 Jahre alt
Vor sechzig Jahren erschien sein erstes Buch. Redakteur war er damals und hatte die Bücher auszuwählen, die als Fortsetzungsromane gedruckt werden sollten. Während dieser Arbeit kam ihm der Gedanke, dass er auch selbst schreiben könnte, Eigenes. Und er tat es. Sein Chef war von dem Ergebnis begeistert. Vor der gedruckten Ausgabe erschien »Es waren Habichte in der Luft« als Vorabdruck in seiner Zeitung.
Und heute, sechzig Jahre später: Noch unveröffentlicht, weil noch in Arbeit, eine Novelle, von der man hört, dass sie »Die Maske« heißen soll.
Sein Werk umfasst inzwischen 20 Bände. Die Gesamtauflage schätzt man auf über 25 Millionen Exemplare weltweit. Große Bücher und hinreißende kleine Erzählungen sind über die Jahre entstanden. Er war nicht der Komet, der erschien und verglühte. Nein, er ist ein Fixstern am literarischen Himmel und generationenübergreifend.
Was sich in all den Jahren nie geändert hat, ist seine heute altmodisch anmutende Arbeitsweise: Seine Texte bringt er nach wie vor handschriftlich zu Papier, kaum mit Korrekturen. Erst dann werden sie abgeschrieben und dem Verlag übergeben. Und immer dabei: die Tabakspfeife. Es muss mit der Generation zusammenhängen: Denn auch zwei seiner politischen und persönlichen Freunde, Willy Brandt und Helmut Schmidt, frönten und frönen dieses Lasters. Und auch der Kollege Günter Grass ist ohne Pfeife nicht vorstellbar.
Geboren im masurischen Ostpreußen, setzt er dieser Landschaft in seinem Erzählungsband »So zärtlich war Suleyken« 1955 ein bleibendes literarisches Denkmal: Keine Trauer über die verlorene Heimat, Schönheit und Liebe als Erinnerung, als Bleibendes.
Der große internationale Erfolg fällt in das Jahr 1968. »Die Deutschstunde« erscheint, das Buch, das ihn in die erste Reihe der deutschen und europäischen Literatur bringt. Vor dem Hintergrund der NS-Zeit in einem nordfriesischen Dorf beschäftigt ihn das Thema der aus Diensteifer verlorenen Tapferkeit vor dem Freund: Der dem Regime hörige Polizist Jens Ole Jepsen setzt das Malverbot gegen seinen Freund Max Ludwig Nansen durch, hinter dessen Figur sich der Expressionist Emil Nolde verbirgt. Allein 1,4 Millionen Bücher werden in Deutschland verkauft, der Stoff wird verfilmt, Lizenzen weltweit vergeben.
Für die res publica engagiert er sich. Schuld und Sühne beschäftigen ihn. Und das quo vadis seines Landes. Von Deutschland, der BRD, müssen trotz eisernem Vorhang Signale für die europäische Verständigung ausgehen, so sein Credo und seine Überzeugung. Er setzt auf die SPD, unterstützt sie und ganz besonders Willy Brandt. Sehr vehement und öffentlich. Er, der Schriftsteller, gehört zu denen, die sich aus dem Bundestag wegen ihres politischen Engagements als Pinscher beschimpfen lassen müssen. Ist schließlich in Warschau bei dem um Vergebung bittenden und Versöhnung erhoffenden Kniefall seines Bundeskanzler-Freundes mit vor Ort, versteht die Geste. Freundschaft schließt nicht aus, dass er Helmut Schmidt wegen dessen »Nachrüstungspolitik« kritisiert.
Preise und Ehrungen ereilen ihn im Laufe seines langen Lebens zu Hauf. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1988 ist vielleicht einer der wichtigsten. Der Büchner-Preis fehlt, auch der Nobelpreis, obwohl er immer wieder als aussichtsreicher Kandidat gehandelt wurde. Und das Bundesverdienstkreuz hat er ausgeschlagen, weil er – inzwischen ganz Hamburger Hanseat – die Verdienste, für die er ausgezeichnet werden sollte, nicht als auszeichnungswürdig ansieht.
Ob er seinen Geburtstag mit seiner Frau wirklich nach Rilkes Gedichtzeile »Überstehen ist alles« verbringen kann, wird er wohl nicht beeinflussen können. Schließlich werden Bundespräsident und viele andere Honoritäten ihn am kommenden Sonntag zudem noch öffentlich und im Fernsehen feiern.
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