Beton statt Bildung

NRW-Verfassungsrichter legen rot-grüner Regierung enge Zügel an

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Gestern legte das NRW-Verfassungsgericht die Begründung seines Urteils vor, demzufolge der Nachtragshaushalt 2010 verfassungswidrig ist.

Am Tag danach herrschte auffällige Ruhe. Die Webseiten der führenden Tageszeitung Nordrhein-Westfalens berichteten über Japan und, weil dieses Thema offenbar langsam nicht mehr trägt, über Buntes und Sport. Die Entlassung von Schalke-Trainer Magath, beispielsweise. Auch die Pressemitteilungen von Parteien und Fraktionen widmeten sich allen möglichen Themen – nur nicht dem einen. Das Urteil des Landesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2010: Gestern bestimmte es die mediale Agenda nimmer- mehr.

Auch Neuwahlen brachte niemand ins Spiel, und das, nachdem wochenlang kein Tag ohne entsprechende Forderungen und Spekulationen vergangen war. Zur Erinnerung: Am Dienstag hatte das Landesverfassungsgericht NRW den rot-grünen Nachtragshaushalt 2010 für verfassungswidrig und nichtig erklärt.

Hannelore Kraft verkündete flugs, sie sehe »erst mal keine direkte Folge« für den Landes-Haushalt 2011. Man müsse die Begründung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts halt »weiter konkretisieren«. Dem werden die Münsteraner Richter kaum zustimmen. Das belegt ihre schriftliche Urteilsbegründung, die seit gestern vorliegt.

Die Summe neu aufgenommener Schulden pro Etatjahr darf nicht höher sein als die Summe der Investitionen. So will es die Landesverfassung. Einzige Ausnahme: Es liegt eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes vor. Über viele Seiten führen die Richter in ihrer Urteilsbegründung aus, warum das aus ihrer Sicht Ende 2010 nicht der Fall war. Ellenlang sind die Belehrungen über die »rechtlichen Maßstäbe zum Begriffsverständnis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes«.

Selbst dann, wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes vorgelegen haben würde, hätten neue Schulden nur dann aufgenommen werden dürfen, wenn sie »zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet« gewesen wären. Kurzum: Zur kurzfristigen Konjunkturbelebung.

Als »Investition« im Sinne der Landesverfassung gelten bizarrerweise die Ausgaben für Autobahnen und Prestigebauten, nicht jedoch für Lehrerinnen und Erzieher. Fast schon zynisch klingt der Richter apodiktische Forderung, »zukunftsbelastende Einnahmen« aus Krediten seien »durch zukunftsbegünstigende Ausgaben« zu kompensieren. Denn Bildung ist in dieser Interpretation nicht »zukunftsbegünstigend«. Beton durchaus.

»Das Urteil des Landesverfassungsgerichts Münster ist anmaßend«, kommentierte Heribert Prantl in der »Süddeutschen Zeitung«. Denn, so der SZ-Inlandschef und ehemalige Richter: Die Münsteraner Richter täten so, »als seien sie die besseren Politiker und auch noch die besseren Ökonomen.« Statt die Politik zu kontrollieren, würden sie »das gesamte politische Handeln einer Regierung konterkarieren – indem sie das Haushaltsbuch zerreißen«. Das alles gilt natürlich auch für das Haushaltsjahr 2011.

Damit sind Krafts »präventiver Politik« enge Zügel angelegt worden. Die Sozialdemokratin begründet kreditfinanzierte Ausgaben für Bildung und Soziales damit, dass so künftige Kosten verhindert werden können. Das werden die Richter auch künftig kaum schlucken: Wo, bittesehr, wird da ein gestörtes wirtschaftliches Gleichgewicht wieder ins Lot gebracht?

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