PLATTENBAU
Anfang Juli 2010 in Berlin: Punkmusikerin Patti Smith ist in der Zitadelle Spandau mit ihrem Konzert so gut wie durch, da stehen auf einmal R.E.M. auf der Bühne und singen und spielen einige Songs mit. Wie man später hörte und las, war die Gruppe mehrere Wochen in Berlin, um in den Kreuzberger Hansa-Studios an einem neuen Album zu basteln.
Auch andere Superstars vor ihnen arbeiteten in Berlin: David Bowie, Iggy Pop, U2. Nun also R.E.M. Vor allem der intellektuelle Frontmann der Gruppe, Michael Stipe (51), soll die Berliner Atmosphäre aufgesogen haben: Er besuchte Konzerte, Kunstausstellungen, Cafés und Restaurants, tanzte auch schon mal im »Berghain«. Aber auch Gitarrist Peter Buck (54) und Bassist Mike Mills (52) haben die Stadt (und gute Restaurants) genossen.
Vor über 30 Jahren wurden R.E.M. in Athens (USA-Staat Georgia) gegründet und entwickelten sich von einer College-Radio-Band zu einer der angesagtesten Gruppen Amerikas und der ganzen Welt. 1996 erhielten sie von Warner Brothers einen horrenden 80-Millionen-Dollar-Vertrag für fünf künftige Alben. 1997 verließ jedoch Drummer Bill Berry krankheitsbedingt die Band und es war lange nicht klar, ob der nun »dreibeinige Hund« R.E.M. jemals laufen lernen würde.
Nun ist also ihre fünfzehnte Studioplatte – »Collapse Into Now« – erschienen, in zwölf Wochen in Berlin, New Orleans und Nashville eingespielt. Angeblich hat der Band die Arbeit am Album viel Spaß gemacht. Allerdings ist es kein bahnbrechendes geworden – aber solides Handwerk, sehr abwechslungsreich. Vor allem die rasanten punkigen Nummern erinnern an ihr letztes Album »Accelerate«, wo vieles schnell und spontan eingespielt wurde. Anderes ist schöner balladesker Pop, manches Akustik mit viel Gitarre und Mandoline.
Die poetischen Texte sind wie immer nicht leicht zu entschlüsseln. Mike Mills im Musikmagazin »Rolling Stone«: »Wir haben den Leuten die Bedeutung niemals auf einem Tablett serviert. Ein bisschen anstrengen darf man sich schon«.
»ÜBerlin« ist ein klassischer akustischer R.E.M.-Song, der sich um jemanden mit vielen Problemen dreht, der nach Berlin geht, um sie zu lösen – und dort einen Freund findet. Das sehnsüchtige »Oh My Heart« ist der Hit des Albums, obwohl musikalisch dicht am Kitsch – der Song blickt auf das von der Hurrikan-Katastrophe heimgesuchte New Orleans. In »Me, Marlon Brando, Marlon Brando And I« geht es um Helden, die versuchen, etwas Unerreichbares zu vollbringen. Das elegische »Blue« ist zumeist ein Spoken-Word-Song – hier singt die befreundete Patti Smith den Refrain.
Mögliches Fazit des Albums: Auch wenn man durch die Dunkelheit läuft, findet man am Ende zum Licht.
Doch wohin laufen R.E.M.? Ihr großer Plattenvertrag mit Warner ist nun abgelaufen. Auf Tour wollen sie zunächst nicht mehr gehen, zu ermüdend war ihre letzte. Schlimmer noch – es gibt sogar Trennungsgerüchte. Die gab es jedoch auch schon vor 20 Jahren. Mike Mills: »Wir streiten uns, ja, aber dann gehen wir wieder zusammen essen.«
R.E.M.: Collapse Into Now (Warner)
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