Die Schwelle zum Krieg

Kommentar von Roland Etzel

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn es auch so aussieht, als hätte die UN-Resolution gegen Libyen zunächst für ein Einhalten im Bürgerkrieg gesorgt: Diese Hoffnung – wenn sie denn tatsächlich der Intention der Initiatoren des Beschlusses entspricht – ist trügerisch. Die Schwelle zum offenen Krieg ist noch niedriger geworden. Ähnlich der Handgranate, deren Splint gezogen ist, lässt sich die nun herbeigestimmte Eskalationsstufe im Libyen-Konflikt nur schwer rückgängig machen. Die NATO kann jetzt, wann immer sie will, beschließen loszuschlagen.

Was Libyens Staatschef Gaddafi, der einen Tag zuvor noch Kapitulationsultimaten an die Rebellen von Bengasi stellte, tatsächlich beabsichtigt, ist wenig durchschaubar. Man hat aber von seiten der NATO auch keinen erkennbaren Versuch unternommen, es in Erfahrung zu bringen. Das wäre das mindeste gewesen, wenn es tatsächlich, wie behauptet, in Libyen um die Abwendung einer »humanitären Katastrophe« ginge. Vermittelnd eingreifen kann man jetzt noch immer, wenn wirklich Interesse an einer nachhaltigen Entschärfung der inneren Konflikte besteht. Aber die Zweifel an diesem Interesse sind größer geworden. Die schon aus den Fällen Milosevic/Jugoslawien und Saddam/Irak bekannten Dämonisierungsmuster fanden für Gaddafi und Libyen ihre Wiederholung, zum Beispiel durch die verantwortungslose Behauptung, in Libyen müssen einem Völkermord durch einen »irren Diktator« Einhalt geboten werden.

Deutschland hat sich zu dem gewiss weisen Entschluss durchgerungen, dem Beschluss für ein Kriegsszenario gegen Libyen seine Zustimmung zu versagen. Klar Nein gesagt hat von den Bundestagsparteien aber allein die LINKE. Westerwelle versichert, dass mit der Stimmenthaltung im Sicherheitsrat eine Absage an jede Präsenz deutscher Truppen in Libyen verbunden ist. Das ist zu begrüßen. Den Eindruck, dass man die Intentionen beispielsweise Frankreichs dennoch im Grunde teilt, haben FDP und Union gestern aber nicht ausräumen können – nicht hinsichtlich strategischer Ziele wie der Flüchtlingsabwehr und auch nicht, was die Beteiligung am möglichen Kriegseinsatz betrifft. Denn über AWACS-Angebote auf dem anderen Kriegsschauplatz Afghanistan zur Entlastung der NATO ist man auf leisen Sohlen dennoch im Mittelmeer dabei.

Dass Merkel und Westerwelle für ihr Nicht-Ja zur Flugverbotszone in der UNO ausgerechnet von Rot und Grün gestern im Bundestag angezählt wurden, verwundert nur insofern, als dass sich mit Gabriel und Trittin zuvor beide Parteichefs lobend zu Westerwelles Enthaltung geäußert hatten – wie auch die LINKE. Tatsächlich erlebten in der Parlamentsdebatte viele Reflexe der rot-grünen Kriegskoalition ihre Auferstehung, mit denen 1999 die deutsche Bevölkerung für den ersten Kriegseinsatz seit dem zweiten Weltkrieg reifgeredet werden sollte. Die bizarre Situation, dass sich Schwarz-Gelb faktisch gegen »Friedensvorwürfe« ausgerechnet seitens der einstigen Ökopaxe zur Wehr setzen muss, ist eine bisher kaum erlebte Perversion des Wahlkampfes.

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