Brecht? Bekäme Allergien
Auf der Probebühne des BE: Wie die Oper »Lukullus« von Bertolt Brecht und Paul Dessau verdammt wurde. Skandalös
Seine Collage aus Dokumenten nennt Werner Hecht, international renommierter Brecht-Forscher, »Der ›Lukullus‹-Skandal«. Skandal? Skandalös ist die Inszenierung oder »Spielfassung« am Berliner Ensemble, wie es im Programmheft heißt. Manfred Karge hat sie besorgt. Erfahrener Theatermann, der zuletzt Brechts »Furcht und Elend des Dritten Reiches« und die »Hanns-Eisler-Revue« so klar wie einfallsreich auf die Bühne gebracht hat. Die Oper ging 1951 im Berliner Admiralspalast, der Spielstätte der entnazifizierten Deutschen Staatsoper, trotz vielerlei Querschüsse, Debatten, Begleitmusik aus dem Westen, geordnet über die Bühne. Hermann Scherchen dirigierte das sperrige, zerreißend spannende, technisch hoch stehende Werk mit der klaren Aussage, Feldherr und Unterdrücker Lukullus gehöre ins Nichts. »Ins Nichts mit ihm!«, rief das Volk unterm Donner des Orchesters.
Das Analogon Hitler ist klar. Der Zweite Weltkrieg ist gerade sechs Jahre vorbei. Trümmer noch allerorten. Eindrucksvolle Aufbauarbeit auf beiden deutschen Seiten. Dort mittels des Marshallplanes, hier im Zeichen der sowjetischen Industriedemontage, die zu Recht geschieht. Der Korea-Krieg entbrennt. Neue, größere Brände drohen. Die eben gegründet Bundesrepublik ordert alte Nazigenerale herbei, abermals eine Armee zu rekrutieren. Das größte Unglück indes: Der Kalte Krieg steht im Zenit. Nach außen heiße Phase im Fight zwischen Eisenhower und Stalin. Was setzt sich durch, kapitalistische Besitzverhältnisse, demokratisch ummantelt, oder Volksdemokratismus in Form der Diktatur?
Die Deutschen, einerlei, wo sie stehen und ob sie sich befreit oder besiegt fühlen, müssen vor diesen diametralen Entwürfen Demut zeigen. Wehe, sie tun es nicht oder wechseln nicht rechtzeitig die Seiten. Im Westen geifert ungeniert der von Bomben und Stalinorgeln »geschändete« Revanchist, der die Reichsgrenzen von 1937 wiederhaben will. Heerscharen von Nazis, viele Mordgesellen darunter, akklamieren ihm verdeckt und offen. Im Osten tönt allzu früh der Ruf nach einem sozialistischen Deutschland, kontrolliert von der zu Recht misstrauischen Besatzungsmacht. Dass die Sowjets, durch eine Volksrevolution an die Macht gekommenem und hauptsächlicher Bezwinger der teuflischen Hitlermacht, dem neuen Staat DDR seine hauseigenen politökonomischen Strukturen einpflanzen, ist allzu verständlich. Und wehe, wer dabei nicht mithilft. Bildung und Kultur gehöre dem Volke, ruft der Befreier und verkennt, dass die Deutschen ähnliches in Gestalt der »völkischen« Kultur eben durch hatten.
Das ist der Hintergrund. Wer ihn ausblendet, wird Debatten wie um den »Lukullus« oder um Hanns Eislers Libretto »Johann Faustus« nicht gerecht. Das BE war da zu DDR-Zeiten weiter. Ein Mindestmaß an Reflexion darf doch erwartet werden. Der Skandal »Lukullus« schlägt indes aller Reflexion ins Gesicht. Theater entpuppt sich hier als bloßer ideologischer Erfüllungsgehilfe. Hechts und Karges Figurenwerk teilt sich messerscharf in Gut und Böse. Die Edlen sind die Künstler: Scherchen, der nicht viel sagt; Brecht, gut gestriegelt, etwas gequält in die Front der blödianischen Funktionärsclique eingreifend; Dessau, man erkennt in ihm keineswegs den Sozialisten und künstlerischen Haudegen; Intendant Legal, etwas armselig zwischen Baum und Borke stehend; und die Weigel, das einzige gütige, gescheite, von der Sonne bestrahlte Antlitz, das die Collage hat.
Demgegenüber die Front der Banausen, der Tölpel, der misstrauischen Hundsvotte, der Nichtskönner, die alles versauen wollen. Paul Wandel, ein schmutziger Politiker. Der dünne Hans Lauter am Mikro, eine fistelnde, hüstelnde Nappsülze. Der Sowjetvertreter: noch bescheuerter als die Typen, die »Professor Quatschny« zeichnete, als sein Kabarett »Der Insulaner« kalte Kriegssuppe per Radio effektvoll in den Osten adressierte. Nicht viel anders die Crew der wissenschaftlichen Gutachter der »Lukullus«-Partitur. Durch die Bank unverbesserliche Erzstalinisten. Voran Ernst Hermann Meyer, zuvor deutscher Exilant in London, Schöpfer der damals viel beachteten Streichersinfonie und eines bedeutenden Trios 1948, Autor des heute noch gültigen Buches »Die Kammermusik Alt-Englands« und der schäbigen stalinistischen Schrift »Musik im Zeitgeschehen«.
Georg Knepler, Wiener, auch er teilte die Shdanowschen, auf die deutschen kleinbürgerlichen Kulturverhältnisse kaum anwendbaren Theorien, später prominenter, international geschätzter Musikforscher, Antifaschist, gleichfalls Rückkehrer aus dem britischen Exil. 1974 korrigierte Knepler radikal früher eingenommene Positionen, blieb Sozialist.
Zu schweigen von den hohen Tieren. Ulbricht mit kretinähnlichem Verhalten. Honecker als ein dicker Dummkopf mit FDJ-Hemd. Wilhelm Pieck, dem die »Lukullus«-Schöpfer vieles verdankten, nicht minder ausdruckslos.
Was für ein Konstrukt. Gut und Böse auf der Probebühne. Brecht hätte schlimme Allergien bekommen, hätte er das in seinem Hause sehen müssen. Übrigens, das erwähnt die Collage nur husch-husch: Die »Lukullus«-Premiere 1951 geht ohne jeglichen Skandal über die Bühne. Die von der Partei beorderten »Störer« jubeln am Ende mit. Es finden während der folgenden Jahre insgesamt elf gut besuchte Vorstellungen statt. Dirigent Hermann Scherchen wird jedes Mal extra aus der Schweiz eingeflogen. Brecht bekommt – zum Dank? – das Haus am Schiffbauerdamm, für die Theaterwelt ein Ereignis von Rang. Indirekt hilft dabei Wilhelm Girnus, der die Rolle des Parteispitzels innehat, selbstredend gezeichnet als widerlicher Zuträger, der er offenbar nicht war, denn er hat, so ließe sich sein Text auch lesen, die Sache des Theaters für Brecht betrieben.
Nächste Vorstellung: 21. April
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.