Unterhaltung mit Utopie
Drei Jahre »Missy-Magazine« – Gründerin Stefanie Lohaus über Feminismus und Modestrecken, Rebellion und Elternratgeber
ND: Wenn Sie auf die ersten drei Jahre »Missy« zurückschauen: Was überrascht Sie als Mitgründerin des feministischen Magazins am meisten?
Lohaus: ... wenn man den Markt für Frauenzeitschriften betrachtet: dass es uns immer noch gibt. Wir sind mitten in die Finanzkrise und damit in die Anzeigenkrise hinein gestartet. Es war eine Zitterpartie, auch heute verdienen wir nicht wahnsinnig viel Geld. Aber wir haben uns etabliert. Die zweite Überraschung ist, dass das Thema Gleichberechtigung wieder wichtiger ist. Es wird wieder über Lohnungleichheit diskutiert, über Quoten.
Wie kommt das?
Es war lange verpönt, sich als Feministin zu bezeichnen und über feministische Forderungen zu schreiben. Feministinnen galten als unattraktive Tanten, die keinen abgekriegt haben. Mit diesem Klischee sind viele Frauen in meiner Generation aufgewachsen. Sie müssen erst merken, dass feministische Forderungen berechtigt waren und immer noch sind.
Wen will »Missy« erreichen?
Ich weiß, dass wir vor allem Studentinnen ansprechen, jüngere Frauen, auch Männer. Viele nehmen die fehlende Gleichberechtigung in der Gesellschaft wahr. Sich die Popkultur vorzunehmen, ist politisch, weil sie den Alltag der Menschen prägt. In der Kultur- und Musikbranche gibt es die gleichen Ungerechtigkeiten wie überall.
Wie wichtig ist Rebellion?
Wir beziehen uns stark auf den Dritte-Welle-Feminismus, der Anfang der 90er Jahre in den USA entstand, und auf die Riot-Grrrls-Bewegung von jungen feministischen Frauen aus der Punkrockszene. Aber Rebellion in Deutschland, das ist schwierig. Wir versuchen eine Art Unterhaltung, die Utopie enthält: Mit welchen Themen würden wir uns beschäftigen, wenn wir bereits in einer anderen Gesellschaft lebten?
Was Männer in der Rubrik »Eltern-ABC« über ihre Erfahrungen als Vater schreiben, könnte aber auch in der »Brigitte« stehen.
Elternschaft gehört ins Heft, weil sich in der Beziehung viel abspielt. Wir hätten auch gern tolle Äußerungen von männlichen Intellektuellen und Künstlern. Aber oft geht es bei ihnen zu Hause eher konventionell zu. Ihre Statements geben den Status Quo wieder. Das ärgert uns, aber so sieht die Gesellschaft aus. Ich sage zwar: Das wird mir nie passieren, mein Partner weiß, worauf er sich einlässt. Aber wie wird es dann wirklich aussehen?
Gibt es einen Widerspruch zwischen »neuen« und »alten« Feministinnen?
Es gibt eher verschiedene Strömungen. Simone de Beauvoir und Judith Butler schreiben beide, dass Männer und Frauen gleich sind und die Unterschiede sozial konstruiert. Keine von uns würde sagen, dass Männer und Frauen grundsätzlich verschieden sind oder Frauen besser als Männer. Der Unterschied zwischen »Missy« und »Emma« ist, dass »Emma« bewusst Allianzen eingeht, auch mit konservativen Politikern. Wir und viele jüngere Feministinnen, die uns lesen, bewegen uns in linken Zusammenhängen und einem akademischen Kontext. Wir versuchen, die Ansätze der Gender Studies außerhalb des akademischen Bereiches verständlich umzusetzen.
In »Missy« geht es aber auch um Konsum. Was ist an einer Modestrecke oder einem Test von Unterhaltungselektronik feministisch?
Auch Frauen interessieren sich für Soundsysteme, aber das zu zeigen, ist in der Magazinlandschaft ungewöhnlich. Und wir nutzen die Modestrecken, um Geschlechterstereotypen aufzubrechen und vielfältige Körperbilder zu zeigen.
Wie wichtig sind ökonomische Themen für das Magazin?
Wir bringen sie, wenn sie auf der Agenda stehen und, wie bei der Finanzkrise, abzusehen ist, dass die Frauenperspektive fehlt.
Und wie sieht Ihre ökonomische Praxis aus? Wie viele Arbeitsstunden investieren Sie in »Missy«, und sichert das Ihre Existenz?
Zur Zeit ist es in etwa ein Halbtagsjob, natürlich ohne geregelte Arbeitszeiten. Wir zahlen uns mittlerweile ein Gehalt, das bei mir die Hälfte des Einkommens ausmacht. Aber wir leben auf eher studentischem Niveau. Schulden haben wir nie gemacht. Unser erstes Heft haben wir durch einen Förderpreis finanziert. Das habe ich beim Arbeitsamt vorgelegt: »Hier, das will ich machen.« Die waren beeindruckt. So bekamen zwei von uns anfangs Existenzgründungsgeld.
Fragen: Ulrike Grammann
Wer: Das »Missy Magazine« ist eine feministische Popkultur-Zeitschrift, die seit 2008 viermal im Jahr erscheint. Das aktuelle Heft Nr. 10 beweist mit seinem Titelthema »Pärchenlügen versus Liebesutopien«, dass das Private auch heute noch politisch ist.
www.missy-magazine.de
Was: »Missy« präsentiert das Festival »Frauenperspektiven«. In Vorträgen und Podiumsdiskussionen soll es darum gehen, ob die Kontroverse Feminismus/Gendertheorie eine Generationenfrage ist, was Feminismus heute für junge Frauen bedeutet, was 100 Jahre Frauenbewegung gebracht haben oder was von feministischen Blogs wie »Maedchenmannschaft« zu halten ist. Feministinnen aus Politik, Kultur, Journalismus, Recht und Soziologie werden dabei sein, darunter die Begründerin des Feminismus im Filmwesen, Helke Sander, sowie die Frankfurter Frauen- und Geschlechterforscherin Ute Gerhard.
Wann: Vom 15. bis 17. April
Wo: Im Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnologie (ZKM)
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